Was hat Gott sich eigentlich dabei gedacht, als er den Mann erschaffen hat? Warum hat er das Toxische zwischen seine Rippen geknetet? War die alttestamentarische Heuschreckenplage nicht Plage genug? Unbestritten ist, dass just der Penis daran schuld ist, dass die Menschheit auf die Apokalypse zusteuert. Der Klimawandel ist die Konsequenz von Hypermaskulinität. Zweifeln Sie etwa daran? Sie Spielverderber! Die Option, männerfeindlich zu sein, sollte man sich niemals entgehen lassen.
Wer Gender Studies betreibt, wer feministisch gut trainiert ist, weiß das. Weil alles Übel der Welt auf Männer abgewälzt werden kann, hatten auch der Philosoph Peter Boghossian und der Mathematiker James Lindsay ein leichtes Spiel: Sie publizierten, es war im Mai 2017, im Fachjournal Cogent Social Sciences einen Aufsatz mit ebendiesem Fazit: Das männliche Glied sei die „konzeptionelle treibende Kraft hinter großen Teilen des Klimawandels“.
Der frei erfundene und mit postmodernen Phrasen sinnlos zusammengestellte Text hatte vor allem ein Ziel: Er sollte den Nachweis erbringen, dass wissenschaftliche Forschung durch ideologische, fast religiös anmutende Strömungen gefährdet ist und also bisweilen auch blanker Unsinn ohne Bedenken durchgeht, solange er nur dem eigenen Glaubensbekenntnis dient. Übrigens, der Aufsatz durchlief vorab einen klassischen Peer-Review-Prozess, durch den eigentlich sichergestellt werden sollte, dass gewisse Qualitätsstandards nicht unterschritten werden. Allein: Um die Spreu vom Weizen zu trennen, muss man in der Lage sein, die Spreu zu erkennen.
Noch besser wäre, und deutlich gesellschaftsfreundlicher, Männer-Bashing ganz aufzugeben. Doch genau das verhindert der Feminismus. Mag er mit hehren Idealen ins Rennen gegangen und bisweilen notwendig gewesen sein, so wird er inzwischen, protegiert durch weite Teile von Politik und Medien, von einer radikalen Frauenlobby hemmungslos instrumentalisiert, ja missbraucht als Vernichtungsinstrument. Feministinnen geben sich selbst den Freibrief zur Hetzjagd auf Männer, als handle es sich um weltweit gesuchte Testosteron-Terroristen. Und machen dabei deutlich, dass sie erstens Opfer sind und zweitens die besseren Menschen. Wobei das gemäß ihrer Logik ohnehin ein Synonym ist.
Die Wahrheit aber widerspricht der feministischen Selbstinszenierung. Bedeutet: Wir Frauen sind keine besseren Menschen.
Das überhaupt in Erwägung zu ziehen, zeigt ein sondersames Verständnis über das Menschsein an sich. Ist überhaupt jemand berechtigt, sich über einen anderen zu stellen? „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht?“, heißt es in der Bibel.
Wer aus meiner Argumentation schließt, ich sei blind für das Unrecht, das zahlreichen Frauen geschieht, misstraut meiner Befähigung, die Komplexität im Blick zu haben. Es stimmt, dass Männer im Laufe der Menschheitsgeschichte auffallend oft für Gräueltaten verantwortlich waren. Doch wenn Gewalt, und das scheint mehr als offensichtlich, eine anthropologische Konstante ist, sind Frauen davon nicht ausgenommen.
Warum, denn es ist längst überfällig, reden wir also nicht auch darüber? Gleichberechtigung kann nicht bedeuten, sich ausschließlich die süßesten Kirschen herauszupicken. Konsequent wäre, den wattierten Schutzraum aufzugeben, den Frauen gerne für sich beanspruchen. Und sich der Möglichkeit zu stellen, ebenso in der Lage zu sein, Gewalt auszuüben. Ungeachtet dessen, dass weibliche Aggressivität meist verdeckter auftritt.
Überlassen wir Frauen also den Heiligenstatus der Gottesmutter Maria. Und bekennen wir uns auch zu unseren dunklen Seiten. Denn: Kein Mensch ist davon frei.
Über den Autor
Sylvie-Sophie Schindler
Sylvie-Sophie Schindler, ist in Oberbayern aufgewachsen. Sie ist in Schauspiel, Philosophie und Pädagogik ausgebildet und hat weit über 1.500 Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleitet. Als Journalistin begann sie bei der Süddeutschen Zeitung, war jahrelang als Lokalreporterin für den Münchner Merkur tätig und belieferte Medien wie stern, VOGUE und GALORE mit ihren Texten. Zig tausend Artikel später orientierte sie sich im Journalismus neu, um frei und ohne Agenda schreiben zu können. Aktuell veröffentlicht sie unter anderem für die WELTWOCHE und Radio München. Sie ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises. Mit ihrem YouTube-Kanal DAS GRETCHEN will sie die Dialogbereitschaft stärken. In Vorträgen und in Netzwerken setzt sie sich für neue gesellschaftliche Wege ein, die auf Selbstorganisation, Herzoffenheit und freiem Denken gründen.