Unser Autor Tom J. Wellbrock war für ein halbes Jahr in Russland (Moskau). Er hat dort für Russia Today gearbeitet und war im Alltag stark mit dem russischen System konfrontiert. Gewissermaßen war Wellbrock auf der Suche nach mehr Freiheit. Was er vorfand, gestaltete sich jedoch gegenteilig. Hier berichtet er über seinen Entschluss und die Beweggründe, Russland wieder zu verlassen …
Eines gleich vorweg: Ich kenne Russland nicht, ich kenne auch die Russen nicht. Es wäre vermessen, etwas anderes zu behaupten, habe ich doch gerade mal ein halbes Jahr in der Nähe von Moskau gelebt. Was ich aber kenne, sind die Erfahrungen, die ich dort gemacht habe. Und um die soll es hier gehen.
Der Ruf nach Freiheit
Das Drama mit der fehlenden Freiheit in Deutschland begann mit der Corona-Episode. Mir ging es vermutlich wie vielen anderen Menschen auch, schon kurz nach der Ausrufung der angeblich für alle Menschen tödlichen Pandemie kamen mir Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Geschichte. In der Folge erlebte ich – wie so viele andere auch – Freiheitsbeschränkungen, wie ich sie mir nicht hätte vorstellen können.
Corona steckte mir noch in den Knochen, da stand die nächste Herausforderung an: der Ukraine-Krieg. Auch bei diesem Thema fiel ich auf, aber nicht, weil ich grenzenlose Solidarität mit der überfallenen Ukraine kundtat, sondern durch Fragen. Fragen zu den Ursachen dieses Krieges, zur Vorgeschichte, zu den Profiteuren und der Motivation deutscher Politiker, sich an Tod und Leid von Ukrainern und Russen zu erfreuen.
Anders als anderen Kritikern ging es mir noch relativ gut. Mein Konto wurde nicht gesperrt, die Diffamierungen hielten sich in einem gewissen Rahmen. Nun, ich bekam keinen Presseausweis mehr, Auftraggeber distanzierten sich von mir, die VG Wort, eine Art GEMA für Autoren, bezahlte mich nicht mehr, ein aggressives Online-Portal veröffentlichte meine Adresse, Freundschaften zerbrachen, und es gab noch mehr, das ich als störend, teilweise auch wirklich belastend empfand. Aber, wie gesagt, im Vergleich zu anderen befand ich mich nicht in einer ausweglosen Situation.
Am Ende entschieden wir uns, Deutschland zu verlassen.
Nach Russland
Als Journalist ist es meiner Meinung nach besser, sich vor Ort ein Bild zu machen, als sich auf Sofa-Recherchen zu verlassen (auch wenn das natürlich nicht immer möglich ist). Nachdem ich eine Einladung erhalten hatte, in Russland für Russia Today (RT) als Redakteur zu arbeiten, standen diverse Vorbereitungen an. Am Ende saß ich mit unseren beiden kleinen Hunden im Auto und fuhr nach Moskau. An der lettischen Grenze musste ich eine Ewigkeit warten, es gehört zur Schikane der Letten, die Überfahrt so unangenehm wie möglich zu gestalten (bei der Ausreise zurück in die EU erlebten wir allerdings die gleichen Schikanen auch von der russischen Seite).
Bis meine Frau nachkommen konnte, vergingen fünf Wochen, und so lernte ich zum ersten Mal die russische Bürokratie kennen. Ich werde sie immer in meinem Herzen tragen, und zwar als Mühlstein, den man nicht wieder loswird, wenn man in Russland lebt.
Fahrt in die City
Wir lebten abseits der Moskauer City, was damit zusammenhängt, dass wir zu klein für große Städte sind. Und Moskau ist eine verdammt große Stadt. Aber wir hatten keine Wahl, ich war aufgrund meiner beruflichen Situation verpflichtet, in Moskau oder der Oblast Moskau zu bleiben. Es hat schon Fälle von Kollegen gegeben, die etwas weiter weggezogen sind und ihr neues Heim in Richtung Moskau wieder verlassen mussten. Als Arbeitnehmer – zumal, wenn man faktisch nicht mehr als ein eingeladener, aber eben doch nur geduldeter Arbeitsmigrant ist – war es mir nicht erlaubt, meinen Wohnort frei zu wählen, obwohl ich ausschließlich vom Home Office aus arbeitete.
Einige Male musste ich aber wegen bürokratischer Angelegenheiten (was auch sonst!) doch in die City in den Sender fahren. Das tat ich zweimal, dann war ich reif für die Insel, denn in Moskau herrscht praktisch immer Stau. In Ermangelung einer solchen entschied ich mich dann bei künftigen Fahrten für ein Taxi. Das kostet in Moskau wenig und schont die Nerven immens. Was allerdings auffiel, waren die häufigen Kontrollen. Im Grunde gab es die alle paar Kilometer, und je häufiger ich diesen Kontrollen begegnete, desto mulmiger wurde mir. Einmal geriet ich dann selbst in eine, die aber glimpflich ausging. Ich hatte zwar meinen Fahrzeugschein vergessen, aber der Beamte drückte ein Auge zu.
Man sollte das nicht unterschätzen. Ein Kollege erzählte mir, dass er einmal für eine Nacht ins Gefängnis musste, weil er vergessen hatte, seine Registrierung zu verlängern. Ich konnte mir das nicht vorstellen, doch es stellte sich als richtig heraus.
Vertrauen ist gut …
… Kontrolle die Regel, zumindest in Moskau. Als Migrant muss man immer und überall seinen Reisepass dabeihaben. Man braucht zudem seine Registrierung und eine Migrationskarte. Die Registrierung sollte auf den Ort laufen, an dem man lebt, aber nicht jeder Vermieter hat Lust, diese Registrierung für seinen Mieter bei der zuständigen Behörde zu besorgen. Dann muss man sich jemanden suchen, der die Registrierung vornimmt, womöglich weit entfernt vom eigenen Wohnort. Das wiederum kann dazu führen, dass die Polizei bei einer Kontrolle fragt, warum man sich so weit vom Wohnort entfernt hat, was unschöne weitere Fragen nach sich ziehen kann.
Mit der Registrierung wird auch Handel getrieben. Da man registriert sein muss, ist es ein gutes Geschäftsfeld, und nicht selten wird ziemlich viel Geld hingelegt, um die begehrte Registrierung zu erhalten.
Der Aufenthaltsstatus
Wie wird man aber nun von einem Migranten zu einem (mehr oder weniger) Bürger in Russland? Da gibt es zahlreiche Möglichkeiten, es gibt verschiedene Aufenthaltstitel, aber sie alle sind mit (tatsächlich, ja!) viel Bürokratie verbunden. Und die Bedingungen ändern sich oft. Unterm Strich aber läuft es auf eine Sprachprüfung hinaus, die auf einem hohen Niveau angesiedelt ist. Für viele ist dieses Niveau zu hoch.
Wer also dauerhaft in Russland leben will, sollte auf diese Sprachprüfung vorbereitet sein, vielleicht ist sie sogar das Wichtigste überhaupt, um zu einem ansprechenden Aufenthaltstitel zu kommen.
RT hilft nicht
Die Tatsache, dass ich bei RT gearbeitet habe, hat mir im Zurechtfinden der Mühlen der Bürokratie leider nicht geholfen, man hat als Migrant keinen besseren Status, wenn man beim Staatssender arbeitet. Die Arbeit selbst war unproblematisch, was sicher auch daran liegt, dass meine Themen – unter anderem der Ukraine-Krieg und Kritik an deutschen Medien – sehr im Sinne der Chefetage waren. Ich erfuhr also faktisch keine Zensur, meine Meinungsbeiträge boten dafür aber auch wenig Anlass.
In einem Fall musste ich jedoch erleben, dass bestimmte Themen nicht willkommen sind. Das war zu der Zeit, als ich noch als Freelancer für RT gearbeitet hatte, es ist also eine Weile her. Ich wollte damals einen Text über die AfD einreichen, in dem ich die Partei als ebenso neoliberal einstufte wie die etablierten Parteien auch. Der zuständige Endredakteur lehnte meinen Text ab mit der Begründung, es handele sich um das übliche westliche AfD-Bashing, so etwas wolle man bei RT nicht.
Meine Diskussion mit dem Endredakteur war ziemlich sinnlos, denn er war nicht bereit, sich auf meine Argumente einzulassen. In der Folge schrieb ich keine kritischen Texte mehr über die AfD. Das schränkte mich stark ein, denn ich habe zu dieser Partei eine Menge zu sagen und konnte das bei RT letztlich nicht tun.
Und überhaupt: Für einen Staatssender ist RT ziemlich schlecht organisiert. Vergleicht man den Sender mit der ARD oder dem ZDF (machen wir uns nichts vor, beide kommen staatlichen Sendeanstalten doch recht nahe und in Sachen Propaganda müssen sich ARD, ZDF und RT alle nicht verstecken), war die Organisation bei RT zuweilen ein einziges Chaos. Charismatische Führungspersönlichkeiten sucht man bei RT meist vergeblich und in Sachen Qualität (also Recherche, Lektorat, Kontrolle und Themenauswahl) kam mir RT zuweilen wie eine Klitsche vor, in der eine Hand nicht weiß, was die andere macht.
Als ich die Schere im eigenen Kopf bemerkte und bestimmte Themen gar nicht mehr anbot, war klar, dass das freie Schreiben, das ich mir wünschte, unterm Strich bei RT nicht möglich war.
Auf Schritt und Tritt
Noch ein paar Worte zur Registrierung: Ich war nach ein paar Monaten zu einer Veranstaltung in Woronesch eingeladen. Das liegt ca. sechs Zugstunden von Moskau entfernt. Die Kollegin, die die Einladung ausgesprochen hatte, hatte auch für ein Hotelzimmer gesorgt. Was dort an Papieren ausgefüllt wurde, war unter anderem die Registrierung. Ich erfuhr erst später, dass man sich überall, wo man übernachtet, registrieren muss. Gleiches galt für die Zeit nach dem Hotel. Als ich wieder nach Hause fuhr, war eine neue Registrierung notwendig. In Russland unterzutauchen ist also (das am Rande) ein ziemlich schwieriges Unterfangen.
Den Reisepass muss man auch vorzeigen, wenn man einen Arzttermin macht oder sich von einem Zahnarzt behandeln lässt. Alles, wirklich alles, was im Pass steht, wird erfasst, Migrant zu sein, ist also in Russland nicht so leicht. Überhaupt machte sich nach und nach bei uns ein Gefühl der Unfreiheit breit. So kann der Vermieter einer Wohnung oder eines Hauses jederzeit einfach in der Tür stehen und sagen, er wolle mal nach dem Rechten sehen. Offiziell muss er sich ankündigen und einen Termin vereinbaren, aber die Praxis sieht anders aus. Der Vermieter unseres ersten Hauses war bei uns ständiger Gast und nahm keine Rücksicht darauf, ob uns das gefiel.
Auch die Polizei kann bei Migranten, wie wir es waren, jederzeit vor der Tür stehen und ein paar Fragen stellen, wenn den Beamten der Sinn danach steht.
Ich will nicht ausschließen, dass wir übertrieben haben und das Gefühl der Kontrolle und der Unfreiheit nur eine subjektive Empfindung war, doch es ändert nichts, wir fühlten uns mit jedem Tag unfreier. Also wurde es Zeit, Russland wieder zu verlassen.
Nach den Schikanen an der Grenze durch die russischen Grenzbeamten, die sich über 13 Stunden hinzogen und mehrmals die konkrete Befürchtung in uns aufkommen ließen, nicht mehr “rüber” zu kommen, war es dann doch so weit. Die lettische Grenze, die ich bezüglich meiner Einreise ein halbes Jahr zuvor in unangenehmer Erinnerung hatte, war ein Kinderspiel. Einmal Kofferraum öffnen, ein paar Schachteln (russische) Zigaretten in der Mülltonne entsorgen, etwas freundliche Konversation, das war’s, wir waren wieder auf EU-Gebiet. Offenbar sind die Letten schlecht gelaunt, wenn man in Russland einreisen will und die Russen, wenn man wieder ausreisen möchte.
Die ersten Kilometer auf EU-Boden waren emotional kaum in Worte zu fassen. Auf unserem weiteren Weg überschritten wir Grenzen ohne Probleme, sie fielen nicht einmal auf, und nach den Grenzerfahrungen zuvor haben wir uns in der EU wohl nie so frei gefühlt wie in diesen Momenten. Es war in vielerlei Hinsicht befreiend.
Wahr ist aber auch: Die westliche Arroganz gegenüber Russland trägt sicher dazu bei, dass wir unschöne Erlebnisse hatten. Die Russen mögen es nicht, dass der Westen sich unentwegt über ihre “falsche” Einstellung beschwert und Russland in ein zweites Deutschland oder Frankreich verwandeln will. Ein deutscher Journalist, der seit rund 30 Jahren in Russland lebt, sagte einmal in einem Interview: “Russland existiert nicht, um dem Westen zu gefallen.“
Unverändert: Mein Blick auf die geopolitische Lage
Was sich nicht verändert hat, ist meine geopolitische Sicht auf den Ukraine-Krieg. Ich könnte darüber wohl schon fast ein Buch schreiben, beschränke mich aber hier auf die Tatsache, dass die NATO sich kurz nach der deutschen “Wiedervereinigung” massiv nach Osten ausgedehnt hat, was Russland nur als Bedrohung empfinden konnte. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine war etwas, das von der NATO seit Jahrzehnten vorbereitet wurde. Die historischen Fakten – inklusive zahlreicher Aussagen US-amerikanischer Politiker, Berater und Militärstrategen – belegen klar und deutlich, dass es bei der Ukraine nicht um edle Motive wie Demokratie und Menschenrechte geht, sondern sich um eine zutiefst aggressive Expansionspolitik des Westens handelt.
Ich werde ganz sicher nicht aufhören, die Geschichtsverfälschungen des Westens beim Namen zu nennen. Ein Grund, wieder nach Russland zu gehen, ist das aber nicht. Es waren wertvolle Erfahrungen, Erfahrungen, die man nur machen, nicht nachlesen kann. Wiederholen möchte und werde ich sie aber nicht.
Über den Autor
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen.