Eine nächste Apokalypse gefällig? Könnte ja sein, dass man mit den aktuellen Bedrohungsszenarien nicht genug ausgelastet ist. Die Klima-Hysterie hält zwar an, über der Energieversorgung hängt ein Damoklesschwert, aber – Achtung!- die Pandemie-Panik hat nachgelassen. Wie gut also, dass ein neuer Dämon durch die Welt geistert und die nächsten endzeitlichen Beschwörungsformeln befördert: Der KI-Dämon. Wer nicht bibbert und zittert vor der Terrorherrschaft der Künstlichen Intelligenz, der gilt mindestens als naiv.
Erschreckend viele Menschen sitzen in ihrer Angst fest. Das ist nicht schön. Insbesondere Deutsche scheinen sich ihrer „German Angst“ verpflichtet zu fühlen; oder handelt es sich gar um eine Lust an der Angst? Wer Angst hat, für den hat man, zumindest weitgehend, Verständnis. Und das ist, als Vereinbarung zwischen Menschen, gut so. Doch irgendwann stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit: Berechtigte Vorsicht oder bereits pathologisch? Angst- und Zwangsstörungen sind ernsthafte Erkrankungen. Doch der Gesellschaft sind die Relationen abhandengekommen. Stattdessen: Freie Fahrt für die Angst. Als hätte Angst immer Recht – aber hat sie das?
Die Krux ist: Die Position des Ängstlichen verleiht Macht. Gerade wenn man, dem woken Zeitgeist entsprechend, den Opfer-Status für sich beanspruchen darf. Nun ist es aber so, dass Ängstliche spätestens dann zu weit gehen, wenn sie verlangen, man müsse mit ihrer Angst solidarisch sein. Bei aller Empathie, es ist egoistisch, andere in die eigene Furcht mithineinziehen zu wollen. Ich beispielsweise finde das Prinzip der Angst nicht interessant. Das hat skeptische Blicke von Zeitgenossen zur Folge. Der Angstfreie ist so etwas wie ein Fehler im System. Mit dem kann doch etwas nicht stimmen. Man kennt sie, die primitive Logik beispielsweise der Pandemie-Paniker: Wer sich von Covid-19 nicht bedroht fühlt, der leugnet das Virus. Als wäre Angst zu haben ein Kriterium dafür, etwas ernst zu nehmen.
Jede Angst geht letztlich auf die Angst vor dem Tode zurück. Nur: Ich akzeptiere den Tod als Drohbotschaft und Erpressungsmaterial schlichtweg nicht. Schließlich weiß ich, dass ich, frei nach Goethe, ein Gast auf Erden bin. Memento Mori. Oder in der Terminologie Heideggers: Dasein zum Tode. Bisher schwebte ich drei Mal in Lebensgefahr. Und danke den Ärzten, die mich gerettet haben. Den Tod nicht zu fürchten, bedeutet nicht, dass man das Leben flieht. Im Gegenteil. Als Christin lege ich außerdem noch einen drauf: Es geschieht nicht mein, sondern Gottes Wille. Was aber eine Gefahr für mich ist, entscheide ich alleine. Ohne Einmischung von Politik und Medien. „Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Meinung, die wir über diese Dinge haben“, so Epiktet, ein Anhänger des Stoizismus.
Angst ist kein Automatismus. Unser Menschheitsschicksal hängt vom Sieg über die Angst ab. Das mag pathetisch klingen. Aber wir brauchen den Kurswechsel dringend. Denn die Angst hat uns dorthin gebracht, wo wir heute stehen: Lähmung und Aufrüstung, verbal bis militärisch, sind nur zwei von vielen Folgen, die uns zum denkbar schlechtesten Katastrophen-Besteher machen. „Unser Zeitalter ist ein aufgeregtes Zeitalter, und eben deshalb kein Zeitalter der Leidenschaft; es erhitzt sich fortwährend, weil es fühlt, dass es nicht warm ist, – es friert im Grunde. Ich glaube nicht an die Größe aller dieser „großen Ereignisse“, von denen ihr sprecht.“ So Friedrich Nietzsche in seinen Aufzeichnungen aus dem Nachlass. Auch er, ein Souverän.
Glauben wir also nicht an unsere Angsterzählungen. Und suchen wir danach, gesellschaftliche Wärme über etwas anderes zu erzeugen als über die nächste Panikmache. „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ So heißt es bei Timotheus. Apropos, in der Bibel findet sich noch ein anderer Satz, mit dem wir Drohkulissen beantworten können: „Fürchtet euch nicht“. Es wäre allerdings falsch, das mit Fatalismus zu verwechseln.
Über den Autor
Sylvie-Sophie Schindler
Sylvie-Sophie Schindler, ist in Oberbayern aufgewachsen. Sie ist in Schauspiel, Philosophie und Pädagogik ausgebildet und hat weit über 1.500 Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleitet. Als Journalistin begann sie bei der Süddeutschen Zeitung, war jahrelang als Lokalreporterin für den Münchner Merkur tätig und belieferte Medien wie stern, VOGUE und GALORE mit ihren Texten. Zig tausend Artikel später orientierte sie sich im Journalismus neu, um frei und ohne Agenda schreiben zu können. Aktuell veröffentlicht sie unter anderem für die WELTWOCHE und Radio München. Sie ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises. Mit ihrem YouTube-Kanal DAS GRETCHEN will sie die Dialogbereitschaft stärken. In Vorträgen und in Netzwerken setzt sie sich für neue gesellschaftliche Wege ein, die auf Selbstorganisation, Herzoffenheit und freiem Denken gründen.