Indem die Frage so gestellt ist wie sie gestellt ist, wäre schlusszufolgern, dass Glück eigentlich etwas sei, was es zu vermeiden gilt. Sind wir denn tatsächlich so gerne glücklich?
Wenn ja, warum weiden wir uns am Unglück anderer, warum gieren wir nach tragischen Skandalen, warum schauen wir Nachrichten, die vollgestopft sind mit Krieg, Leid und Katastrophen? Unter Freunden ist schnell festzustellen, dass man über das, was einen unglücklich macht, schnell und ausufernd ins Gespräch kommt, etwa über den unaufmerksamen Partner oder den nörgelnden Chef.
Dann ist da andererseits eine millionenschwere Glücksindustrie, die uns regelrecht dazu verpflichtet, glücklich zu sein. Es gibt zig Seminare über das Glück, zig Ratgeber, zig Coaches, die uns zurufen, dass man nur mit ihnen das Glück lernen könne. Die Glücksversprechen sind derart präsent und ebenso penetrant, dass man nicht das Gefühl hat, man hätte die Freiheit, sich für das Glück zu entscheiden – oder eben nicht. Es ist inzwischen eine Ideologie, deren eindeutiger Imperativ lautet: Sei glücklich. Was aber, wenn wir das nicht wollen? Dürfen wir das überhaupt? Und selbst wenn wir wollten: Ist Glück überhaupt machbar? „Jedes willentliche Streben nach Glück muss sein Ziel zwangsläufig verfehlen“, gab der griechische Philosoph Sextus Empiricus zu bedenken.
„Glück ist schlecht. Glück ist für Idioten“, ist Slavoj Žižek überzeugt. Der slowenische Philosoph führt das in einem Interview mit SRF Kultur weiter aus: „Ich glaube an Kreativität, an kreative Unzufriedenheit. Für mich ist Glück stille Dummheit. Man ist mit seinem limitierten Leben zufrieden. Es ist eine Art Kompromiss, und ich habe Angst davor glücklich zu sein.“ Blickt man in die Geschichte der Kunst, drängt sich ebenfalls der Verdacht auf, dass das Unglücklichsein viel mehr bringt. Es ist quasi der Motor, um überhaupt erst schöpferisch zu werden. Hätte sich ein Franz Kafka hingesetzt und geschrieben, wenn er sich in seinem Leben rundherum wohl gefühlt hätte? Anders gefragt: Warum Glück, wenn man dadurch keine großen Werke schafft?
Einen weniger gängigen Blick auf das, was Glück sei, warf Albert Camus in seinem Werk „Mythos des Sisyphos“. Bekanntlich wurde Sisyphos, eine Figur aus der griechischen Mythologie, dazu verdammt, einen riesigen Felsblock auf einen Hügel zu rollen. Doch kaum war er oben angekommen, rollte der Felsblock hinab. Jedes Mal wieder. Albert Camus kam in seinen Überlegungen zu dem Schluss: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Hier wird offenbar, dass das Glück in der Bewegung liegt. Und darin, dass sich das eben nicht erfüllt, von dem man hofft, es möge sich erfüllen.
So oder so: Glück ist kein Dauerzustand. An das, was uns glücklich macht, gewöhnen wir uns meistens rasch. Auch wenn wir zunächst glauben, die beste Version einer Sache zu besitzen, kommt bald schon das Bedürfnis auf, nach etwas zu streben, was noch besser ist. Im Jagen nach Glück können wir zu Gefangenen werden. Vielleicht geht es also nicht darum, es zu wollen, sondern darum, offen dafür zu bleiben, es wahrzunehmen, wenn es sich einstellt. Genauer besehen handelt es sich dabei meistens um das, was nicht an Materie gebunden ist. Oder um es mit den Worten des Wirtschaftswissenschaftler Richard Layard zu sagen: „Ein gutes Gespräch bleibt ein gutes Gespräch, wohingegen ein gutes Auto nicht ein gutes Auto bleibt“.
Über den Autor
Sylvie-Sophie Schindler
Sylvie-Sophie Schindler, ist in Oberbayern aufgewachsen. Sie ist in Schauspiel, Philosophie und Pädagogik ausgebildet und hat weit über 1.500 Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleitet. Als Journalistin begann sie bei der Süddeutschen Zeitung, war jahrelang als Lokalreporterin für den Münchner Merkur tätig und belieferte Medien wie stern, VOGUE und GALORE mit ihren Texten. Zig tausend Artikel später orientierte sie sich im Journalismus neu, um frei und ohne Agenda schreiben zu können. Aktuell veröffentlicht sie unter anderem für die WELTWOCHE und Radio München. Sie ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises. Mit ihrem YouTube-Kanal DAS GRETCHEN will sie die Dialogbereitschaft stärken. In Vorträgen und in Netzwerken setzt sie sich für neue gesellschaftliche Wege ein, die auf Selbstorganisation, Herzoffenheit und freiem Denken gründen.