Vor einigen Wochen kam Bewegung in den US-Präsidentschaftswahlkampf: Joe Biden trat zurück und überließ seiner Vizepräsidentin das Feld. Sämtliche Linke stürzten sich daraufhin auf Kamala Harris, um sie als einzig geeignete Kandidatin in den Himmel zu heben. Prominente riefen dazu auf, Geld für Harris zu spenden. Es handelt sich um Beträge in Millionenhöhe. Der einhellige Tenor lautet: Donald Trump muss um jeden Preis verhindert werden.
Einige Fragen drängen sich hierbei auf: Sind die Demokraten automatisch die „bessere“ Partei? Wie kann es sein, dass die Kandidaten, die das meiste Geld sammeln, die größten Chancen haben, gewählt zu werden? Wieso gibt es nur zwei Großparteien, die eine realistische Chance bei den US-Wahlen haben? Und die entscheidende Frage: Wo bleibt bei all dem die Demokratie?
It‘s all about money
Dass viele Amerikaner dieselben kritischen Fragen stellen, zeigen Diskussionen in Social Media. Nach einem Spendenaufruf für Kamala Harris postet die Ex-Profifußballspielerin Abby Wambach auf Instagram: „8,5 M and counting“ – 8,5 Millionen Dollar machten zu diesem Zeitpunkt die gesammelten Spenden aus. Eine Instagram-Userin kommentiert dazu: „Denkt mal nach, was man mit diesem Betrag für Menschen tun könnte, die es brauchen … Was passiert mit diesen acht Millionen Dollar?“
Eine andere Userin schreibt: „Das zeigt nur, wie sehr Promis und Profisportler den Bezug zur amerikanischen Mittel- und Unterschicht verlieren. Wir können es uns kaum leisten zu essen und zu leben, aber sie bitten um mehr Spenden, anstatt herauszufinden, wie man den Menschen helfen kann, die es wirklich brauchen.“
Freiheit der Wahl?
In Anspielung darauf, dass Joe Biden seine Vize-Präsidentin als Präsidentschaftskandidatin präsentiert hat, kommentiert eine Userin: „Wir stehen für die Freiheit der Wahl, ohne den demokratischen Kandidaten wählen zu dürfen? Wir behaupten, die andere Partei sei eine existenzielle Bedrohung für unsere Demokratie, während wir unsere Demokratie korrumpieren?“ Kritisiert wird auch, dass Kamala Harris als geeignete Kandidatin präsentiert wird, allein weil sie eine Frau und eine Farbige ist – ohne nennenswerte Qualifikationen vorweisen zu können. Und dass sie vom American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) gesponsert wird.
Der Widerstand gegen die Unterstützung der USA für den Krieg Israels gegen Gaza ist groß. Monatelang protestierten Studenten verschiedener Universitäten. Im Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass Joe Biden weitere Waffen im Wert von einer Milliarde Dollar nach Israel liefern will. Es wird befürchtet, dass Kamala Harris diesen Kurs fortsetzt – auch wenn im Wahlkampf versöhnliche Töne angeschlagen werden.
Gespaltenes Land
Dass es neben Demokraten und Republikanern meist weitere Parteien oder unabhängige Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen gibt, fällt kaum ins Gewicht – haben sie im vorherrschenden System doch keine Chance. Die große Kluft zwischen Demokraten und Republikanern führt dazu, dass die USA wie kaum ein anderes Land gespalten sind und große Probleme nicht bewältigt werden können – wie Waffengewalt, Rassismus oder immens hohe Studiumskosten, für die viele Menschen sich lebenslang verschulden.
Robert F. Kennedy Jr., der als unabhängiger Kandidat bei den Vorwahlen antrat und sich insbesondere für Kindergesundheit einsetzt, weist etwa darauf hin, dass amerikanische Kinder „zu den kränksten der Welt“ zählen. Er macht „Big Food“, die Lebensmittelindustrie dafür mitverantwortlich. Dass Kennedy, Neffe von Ex-US-Präsident John F. Kennedy, bekanntgab, Donald Trump zu unterstützen, schlug zuletzt hohe Wellen. „Die Demokraten sind die Partei des Krieges, der Zensur, der Korruption, der Big Pharma, der Big Tech, der Big AG und des großen Geldes geworden, die die Demokratie aufgeben wollen“, sagte Robert F. Kennedy Jr. in einer Rede.
Kleine Parteien sind chancenlos
Kleine Parteien wie die amerikanischen Grünen haben bei Wahlen hingegen nicht den Funken einer Chance. Die Grünen-Kandidatin Jill Stein schreibt auf Instagram: „Die Demokraten versuchen, uns in mehreren Bundesstaaten von Wahlen auszuschließen, stellen Spione und Informanten ein, um uns zu sabotieren, und verweigern uns sogar öffentliche Gelder, auf die wir seit Monaten Anspruch haben.“
Stein wird vorgeworfen, mit ihrer Kandidatur Trump zu unterstützen, da sie die Demokraten wertvolle Stimmen koste – was ein fragwürdiges Licht auf ein demokratisches Land wie die USA wirft. Sollte es nicht gerade die Vielfalt an Kandidaten und Kandidatinnen sein, die Demokratie lebendig hält?Stein selbst kontert diesen Vorwurf: „Umfragen zeigen, dass Drittparteien – insbesondere unsere – keine Wählerschaft aus den Demokraten gewinnen. Wir ziehen Wähler an, die sonst nicht wählen würden.“
Das US-Wahlsystem selbst weist einige Schwächen auf: Die hohen Registrierungshürden in vielen Bundesstaaten führen zu einer traditionell niedrigen Wahlbeteiligung um die 50 Prozent, was auch an der Frustration der Wähler liegt. Das komplexe Wahlsystem hat zur Folge, dass ein Kandidat Präsident werden kann, obwohl er nicht die Mehrheit der Wählerstimmen hat.
Die Rolle der Medien
Die einseitige Medienberichterstattung nicht nur in den USA tut ein Übriges, um die Spaltung im Land voranzutreiben. Die schwedische Journalistin Malin Ekman schreibt in einem offenen Brief über ihre Beweggründe, als US-Korrespondentin einer großen schwedischen Tageszeitung zu kündigen: „Die Berichterstattung über die USA – in Schweden wie auch in anderen Ländern des Westens – hat sich zu einem fertigen Narrativ über Donald Trump als Feind der Demokratie entwickelt.“
Ekman schreibt weiter: „Journalisten haben sich auf die Seite des einen Lagers gestellt, weil sie glauben, dieses sei das “Richtige”, und bekämpfen indirekt das andere. Da die ,andere‘ Seite als ,schlechter‘ gilt, werden die Probleme der eigenen Seite geglättet. Dies bedeutet, dass Informationen, die normalerweise … als für die Öffentlichkeit relevant angesehen worden wären, nun nicht mehr gemeldet oder stattdessen an den Rand gedrängt werden.“
Dass Medien auch in anderen Ländern US-treu berichten, hat zuletzt der Fall Julian Assange gezeigt, in dem die USA eine wenig rühmliche Rolle einnehmen – nachzulesen in der aktuellen Print-Ausgabe des Stichpunkt-Magazins. Immer klarer wird nun, dass das politische System im ehemals mächtigsten Staat der Welt ausgedient hat. Eines dürfte gewiss sein: Egal, wie die Wahl am 5. November ausgeht, die Demokratie zählt zu den Verlierern.
Über den Autor
Susanne Wolf
Susanne Wolf ist freie Journalistin und Autorin und begleitet schreibend den aktuellen gesellschaftlichen Wandel. Sie hat sich dem konstruktiven Journalismus verschrieben, der sich bei all den Herausforderungen unserer Zeit auf die Suche nach möglichen Lösungen macht. Dabei bleibt sie immer dem journalistischen Grundprinzip des kritischen Hinterfragens treu.