Wim Hof Travel – ein Erfahrungsbericht
Wie die Wim-Hof-Methode den Aufstieg auf die Schneekoppe in Shorts ermöglicht.
Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, was wir mit Training und dem richtigen Mindset erreichen können. Die Leistung der Teilnehmer, den Aufstieg in Shorts trotz des unerbittlichen starken und eisigen Windes von Anfang an durchzuhalten, war unglaublich. Begleitet wurden wir von den Wim-Hof-Instruktoren Douwe van den Berg, Bernhard Handick und Gus Hoyt. Der Mountainguide Michał Wawrzonek sorgte für unsere Sicherheit und tolle Fotos. Josephine Worseck hielt mit dem Instruktor-Nachwuchs im Haus die Stellung und erwartete uns später mit einem heißen Kakao.
Atmung, Kälte und Mindset
Wim Hof wird am 20. April 64 Jahre alt und hat bereits mehrfach bewiesen, zu welchen außergewöhnlichen Leistungen der menschliche Körper fähig ist – Dinge, die lange Zeit als wissenschaftlich unmöglich galten. Eine Studie der Radboud-Universität aus dem Jahr 2011 zeigte, dass er mit seiner Methode das autonome Nervensystem willentlich beeinflussen kann, was zuvor als unmöglich galt. Wim Hof ist unter dem Namen “The Iceman” bekannt, da er zahlreiche Weltrekorde hält, wie beispielsweise den Aufstieg des Kilimandscharo in kurzen Hosen, das Laufen eines Halbmarathons oberhalb des Polarkreises barfuß, und er stand mehr als 112 Minuten lang in einem mit Eiswürfeln bedeckten Container.
Die Wim-Hof-Methode ist eine Technik, die auf drei Säulen basiert: Atmung, Kälte und Mentaltraining.
Die Wim-Hof-Atemtechnik ist eine Kombination aus bewusster Hyperventilation und Atemretention.
Es wird eine tiefe Entspannung erreicht. Selbstheilungskräfte werden aktiviert, Entzündungsmarker im Blut gesenkt, das Schmerzempfinden wird reduziert und die spezifische Immunabwehr aktiviert.
Die Kälte hat viele positive Effekte auf den Körper wie eine verbesserte Durchblutung, Stoffwechselaktivierung und Linderung von Schmerzen. Sie hilft bei Depressionen, fördert die Muskelregeneration und verbessert die Kälteresistenz.
Das richtige Mindset ist auch wichtig, um mit der Kälte umzugehen und die physiologische Stressreaktion zu beeinflussen.
Schon seit langem hatten mich die Bilder des Meditationsraums mit dem runden Fenster, des Wasserfalls und des Aufstiegs zur Schneekoppe fasziniert. Auf der Webseite von Josephine Worseck las ich dann das Zitat: “Denn später bereuen wir nur, was wir nicht getan haben”. Dieser Satz hat mir den letzten Anstoß gegeben, meine erste Reise anzutreten, die nicht die letzte blieb.
Untergebracht waren wir in Przesieka in einem rustikalen Haus, wo vor Jahren die ersten wissenschaftlichen Studien zur Wim-Hof-Methode durchgeführt wurden. Der berühmte Wasserfall befindet sich in unmittelbarer Nähe. Durch tägliches Training von Atmung, Kälte und Mindset waren wir optimal auf den Höhepunkt der fünftägigen Reise, den Aufstieg zur Schneekoppe (1602m), vorbereitet. Unsere Gruppe wurde von erfahrenen WHM-Level-2-Instruktoren und einem erfahrenen Bergführer begleitet, der das Klima und Gelände bestens kannte und für unsere Sicherheit sorgte.
Vorbereitung auf den Aufstieg
In der Woche haben wir gelernt, uns auf unseren Körper zu fokussieren, in uns hineinzuspüren und uns auf die Natur einzulassen. Der Morgen begann mit einer Mobility- und Breathwork-Session, Eisbäder standen täglich auf dem Programm. Auf einer Probewanderung in der Umgebung wurde das Packen des Rucksackes getestet, sowie das Aus- und Ankleiden im Schnee. Was muss oben im Rucksack als erstes erreichbar sein? Klappt das Aufziehen der Steigeisen? Warmer Tee und etwas Proviant, den ich jedes Mal wieder mit zurückbrachte, gehörten auch zur Ausstattung. Für die Psyche kann es hilfreich sein, etwas Kräftigendes im Gepäck zu wissen.
Wer sich selbst an eine Kältewanderung wagen möchte, sollte in bekannter Umgebung mit kurzen Einheiten von 10-15 Minuten beginnen. Längere Touren sollte man nie ohne Ortskenntnis und Begleitung machen. In den Rucksack gehört warme, regenfeste Kleidung und etwas Proviant. Die Wetterbedingungen sollte man vorher prüfen. Es ist ratsam, eine Mütze und Handschuhe zu tragen, um handlungsfähig zu bleiben und selbstständig Reißverschlüsse und Schnürsenkel schließen zu können. Bei anspruchsvolleren Touren sollte man professionelle Begleitung mitnehmen, die einschätzen kann, ob Steigeisen nötig sind, und die mit Notfallmaßnahmen vertraut ist.
Der Aufstieg
Für dieses Jahr hatte ich mir einen leichten Aufstieg bei Sonnenschein gewünscht – bekommen habe ich eine Challenge.
Bereits zu Beginn war es extrem windig. Ich ahnte, was auf mich zukommen würde. Dies war eigentlich der windstille Teil der Strecke. Wie würde es erst sein, wenn wir den Windschatten der Bäume verließen? Und auf dem letzten völlig ungeschützten Teil des Aufstieges? Beim letzten Mal war dieser Teil der Stecke kaum fordernd. Durch unser flottes Tempo wurde uns damals richtig warm, Mütze und Handschuhe waren anfangs überflüssig. Die Sonne wärmte uns. Es war lustig, die dick vermummten Gestalten zu beobachten, die uns erstaunt ansahen.
Jedoch war in diesem Moment wenig davon zu spüren. In der Ferne konnte man am Horizont einen milchig-weißen Streifen von Schneekörnern erkennen, die im Wind glitzerten und in der Sonne funkelten. Aufgrund der extremen Witterungsbedingungen mit starkem Wind von 35-50 km/h wurde die Seilbahn zum Gipfel abgeschaltet. Obwohl die Temperatur bei -11°C lag, betrug die gefühlte Temperatur aufgrund des Windes -24°C. Wir liefen in einem langsamen Tempo, um den Zusammenhalt der Gruppe zu sichern und gemeinsam den Gipfel zu erreichen.
Als wir dann aus dem Schutz der Bäume heraustraten, ergriff uns ein scharfer Wind von rechts, der uns buchstäblich wegblasen wollte. Die Schneekörner flogen uns ins Gesicht und stachen in den Augen. Ich konnte kaum auf die Natur achten. Mit der Hand versuchte ich, mein Gesicht etwas vor den Schneekörnern zu schützen.
Ich verlor jegliches Zeitgefühl und konzentrierte mich ausschließlich auf meine Atmung, während wir Schritt für Schritt vorankamen und schließlich das gelbe Haus erreichten. Mein Blick war die ganze Zeit starr geradeaus gerichtet. Ich erinnerte mich an den Anblick der weiten und skurrilen Schneelandschaft. Es fühlte sich völlig anders an als bei meinem ersten Aufstieg. Damals wirkten Landschaft und die Natur sehr intensiv auf mich, während ich Wind, Sonne und Kälte auf meiner Haut spürte. Irgendwie waren sie präsenter, echter und näher als sonst. Diesmal war mein Blick eingeengt. Ich konnte die Landschaft kaum wahrnehmen. Sehr real und präsent fühlte sich jedoch der schneidende Wind an. Nur kurz konnte ich Blicke auf die eingeschneiten skurrilen Tannenbäumchen werfen.
Tunnelblick: Wenn Stress aufkommt, verengt sich die Aufmerksamkeit. Die Muskeln spannen sich an, die Atmung wird schneller. Der Körper wechselt in den “Kampf- oder Fluchtmodus” und beschränkt die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, um schnell reagieren zu können. Dadurch werden andere Sinneseindrücke ausgeblendet und die Wahrnehmung eingeschränkt.
..welche Rolle spielt die Atmung?
Die Atmung ist eine der wenigen Körperfunktionen, die sowohl bewusst als auch unbewusst gesteuert werden kann. Durch eine bewusste Änderung der Atmung kann man das vegetative Nervensystem und dadurch sowohl körperliche als auch geistige Prozesse beeinflussen.
Eine langsame und tiefe Atmung durch die Nase hilft dabei, besser mit der Kälte umzugehen.
Ausatmen durch die Nase ermöglicht eine bessere Regulierung des Kohlendioxidgehalts im Blut, was zur Entspannung und Beruhigung beitragen kann und hält auch die Feuchtigkeit und Wärme aufrecht.
Als wir im Kreis zusammenkamen, um uns vor dem Wind zu schützen und zu wärmen, bemerkte ich erstaunt, wie eisig kalt sich die Haut der anderen anfühlte. So kalt hatte ich meine eigene Haut gar nicht wahrgenommen.
Das gelbe Haus dient als Checkpoint, um sicherzustellen, dass alle Teilnehmer bereit sind für den letzten Teil des Aufstiegs. Ich erinnere mich daran, wie unsicher ich beim ersten Aufstieg war, ob ich den letzten Teil der Strecke ohne Jacke bewältigen könne. Doch unser Wim-Hof-Instruktor Douwe erkannte meine innere Stärke, die ich selbst nicht sehen konnte, und ermutigte mich weiterzugehen.
Diesmal überlegte ich kurz, ob ich ein zusätzliches Shirt anziehen sollte, wie ich es bei meiner Freundin gesehen hatte. Auf seinen Körper zu hören, bedeutet Selbstfürsorge. Meine Gedanken kreisten kurz. So ein dünnes Shirt würde nicht den großen Unterschied für mein Empfinden der Kälte machen. Ich beschloss, meiner eigenen Kraft zu vertrauen und weiterzugehen. Ich wusste, dass ich es schaffen würde.
Das letzte Stück bis zum Gipfel war noch einmal sehr herausfordernd. Über eingeschneite Stufen ging es steil hinauf, und dicke Eisklumpen schaukelten an den Geländer-Ketten im schneidenden Wind. Meine Oberschenkelmuskeln fühlten sich eisig und steif an.
Indem ich tief durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmete und meine Schritte synchronisierte, konnte ich meine Kraft sammeln.
Diese Technik kann zur besseren Regulation des CO2-Gehalts im Blut und einer effektiveren Sauerstoffversorgung beitragen. Da der CO2-Gehalt bei größerer Anstrengung ansteigt, atmet man automatisch schneller und durch den Mund aus. Besonders bei körperlich anstrengenden Aktivitäten wie einem steilen Anstieg kann es daher helfen, tief durch die Nase einzuatmen und durch den Mund aus, um die Atmung zu kontrollieren und zu beruhigen. Indem man im Rhythmus mit den Schritten atmet, kann man den Fokus auf die Aufgabe richten und sich auf den Weg zum Gipfel konzentrieren.
Meine Nase fühlte sich durch die Kälte eingefroren an, und obwohl es unangenehm war, hatte ich keine Angst mehr davor. Ich erinnerte mich an meinen ersten Aufstieg und die Sorge, Erfrierungen zu bekommen. Doch Douwe hatte mich damals beruhigt und versichert, dass es bei den herrschenden Temperaturen und Windstärken nicht passieren würde. Ich vertraute ihm und plötzlich war das unerträgliche Gefühl an meiner Nase viel erträglicher. Hier sieht man, wie wichtig das Mindset ist.
Der Wim-Hof-Instruktor Gus bildete den Abschluss der Gruppe und unterstützte eine Teilnehmerin mental bei dem letzten Stück des Aufstieges. Ich wollte mit den beiden gehen, es war mir in diesem Moment jedoch nicht möglich, langsamer zu laufen. Meine Beine wollten nur schnell das Ziel erreichen.
Als wir kurz anhielten, um die anderen wieder aufholen zu lassen, marschierten wir auf der Stelle, um in Bewegung und warm zu bleiben. Es war ein skurriles Bild. Ein paar vermummte Gestalten überholten uns. Dann ging es geschlossen weiter. Der Weg war angenehm leer, wohl durch den Ausfall der Seilbahn. Das letzte Mal waren hier an einem Feiertag Menschenmassen. Auf dem Gipfel angekommen gab es ein schnelles Foto-Shooting vor dem Berggebäude, der Wetterstation, die an ein Ufo erinnert.
Das Anziehen bei dem schneidenden Wind war eine echte Herausforderung. Sobald man die Handschuhe auszog, begannen die Finger in Sekundenschnelle gefühllos zu werden. Es ist ein unangenehmes Gefühl, wenn man seinen Rucksack nicht mehr öffnen kann, da die Finger gefühllos sind.
It‘s not over yet
Geschwindigkeit war angesagt und die Hilfe unserer Begleiter wurde freudig angenommen. Wir hatten diesmal viel Unterstützung, die wir jetzt wirklich brauchten. Ich beschloss, nur den Oberkörper zu bekleiden, und zog die Hose erst auf dem Rückweg beim nächsten Stopp am gelben Haus an, wo es etwas windstiller war. Beim Abstieg konnte ich dann auch die Landschaft genießen.
Diesmal war es eine lange und anstrengende Herausforderung. Bis zum Gipfel waren wir schätzungsweise 4-5 Stunden unterwegs gewesen. Trotz der extremen Bedingungen, der Kälte und des heftigen Windes hatte ich mich die ganze Zeit geschützt und sicher gefühlt. Obwohl ich das Wetter zu Beginn des Aufstiegs etwas verflucht hatte, war mir beim Abstieg klar: Das war nicht das letzte Mal.
Sněžka – Warum sollte ich einen Berg in Shorts besteigen?
Die Erfahrung ist einzigartig, den Berg und die Natur so intensiv zu spüren – und man lernt, Ängste loszulassen und zu erkennen, wie stark man wirklich ist – geistig und körperlich.
Die Kombination aus Atmung und Kälte stärkt nicht nur die Immunabwehr und reduziert Entzündungen im Körper, sondern lässt uns auch lebendiger, innerlich ruhiger, gestärkter und geerdeter fühlen. Dabei geht es nicht nur um die physischen Aspekte, sondern auch um das Mindset, das durch die Wim-Hof-Atmung, Meditation und Arbeit an inneren Bildern und Intentionen gestärkt wird.
Durch das Verlassen der Komfortzone wird man mutiger und kann dies dann auch in anderen Bereichen des Lebens anwenden.
Am Ende kehrt man mit neuem Wissen, neuen Erfahrungen und einem Gefühl der Verbundenheit mit sich selbst und anderen Menschen nach Hause zurück. Und mit einer Kraft, die wie ein Funke sein kann, der Veränderungen im Leben bewirkt.
Der Hormesis-Effekt beschreibt die positiven Auswirkungen von geringen Dosen an Gift oder Stress auf den Organismus. Dieses Prinzip kann auch auf andere Formen von Stressoren wie Kälte, Fasten, Sport, Höhentraining und Hypoxie angewendet werden.
Durch die gezielte Anwendung von geringen Dosen an Stressoren können verschiedene Anpassungsreaktionen im Körper ausgelöst werden. Zum Beispiel kann eine moderate Exposition gegenüber Kälte die Freisetzung von bestimmten Hormonen und Stoffwechselprozessen im Körper stimulieren, die zu einer verbesserten Immunfunktion, einer erhöhten Stoffwechselrate und einer höheren Fettverbrennung führen können.
Die Wim-Hof-Atemtechnik besteht aus drei oder vier Atem-Zyklen mit einer Gesamtdauer von etwa 20 Minuten. Auf 30-40 tiefe Atemzüge tiefer Wellenatmung folgt auf die letzte Ausatmung eine Atemretention. Die Luft wird angehalten, bis ein starker Drang zum Luftholen entsteht. Dann holt man einmal tief Luft und hält diese 15 Sekunden lang an. Nach dieser Phase beginnt man mit einer neuen Runde. Wichtig ist dabei, dass die Übung im Liegen oder Sitzen in sicherer Umgebung durchgeführt wird.
Durch die Hyperventilation wird der Sauerstoffgehalt im Körper erhöht und der Kohlendioxydgehalt gesenkt, was zu einer Veränderung des pH-Wertes im Blut führt.
Bei der Atemretention nach der Hyperventilation steigt der Kohlendioxidgehalt im Blut wieder an. Dies kann zu einer Vasodilatation führen, also einer Erweiterung der Blutgefäße, wodurch die Durchblutung und Sauerstoffversorgung von Muskeln und Organen verbessert wird.
Die Wissenschaft hinter der Wim Hof Methode: https://www.wimhofmethod.com/science
Informationen zu den Wim-Hof Reisen: https://www.josephineworseck.com/wim-hof-reisen.html
Der Artikel ist in der Print-Ausgabe #6 05/2023 des Stichpunkt Magazins erschienen.
Über den Autor
Claudia Heine ist Mediengestalterin, 3D-Visualisiererin, Biohackerin und Gesundheitscoach und unterstützt das Stichpunkt Magazin beim Layout