Ein vergessener Song der Neo-Soul-Band Gnarls Barkley nimmt sich des Themas Selbstmord an. In existenzialistischen Liedzeilen bringt er das Unaussprechliche klagend zum Ausdruck. Wer sich drauf einlässt, wird belohnt.
Musikbetrachtung von Aron Morhoff
Es ist Dezember. Dunkel ist er, der deutsche Winter. Gut, skandinavische Verhältnisse haben wir auch nicht, das stimmt, doch global gesehen ist unsere dunkle Jahreszeit hart und lang. Langsam aber sicher geht es einem an die Substanz. Das triste Graue. Monatelang. Wir haben den Segen der vier stark ausgeprägten Jahreszeiten. Der Herbst als Sterben, der Winter als Tod. Er hat uns zu dem gemacht, was wir sind, prägt unsere Landwirtschaft und Ernte. Er fließt in unsere Geschichten ein, unsere Lieder, unsere Architektur – er macht einen Teil unserer Seele aus.
Dunkel können auch die Gedanken werden. Wenn ich an den dunkelsten Gedanken denke, denke ich an das Lied „Just a thought“ von Gnarls Barkley. Er stammt vom Erfolgsalbum „St. Elsewhere“, mit „Crazy“, der Hymne an die psychedelische Grenzerfahrung, das die Band weltweit berühmt gemacht hat. Ich habe den Songtext oft bewundert und er kommt mir in diesen Tagen wieder häufiger in den Sinn:
“Why is this my life?”
Is almost everybody’s question
And I’ve tried
Everything but suicide
But it’s crossed my mind
Ich habe auf diesen Zeilen schon oft herumgekaut, über sie sinniert, philosophiert. Geweint. Ich verneige mich vor ihnen. Gnarls Barkey stellt die legitime Frage nach der Auseinandersetzung mit dem Undenkbaren: Wie wäre es, sich mit Selbstmord auseinanderzusetzen? Ich habe es nie versucht, sagen sie. Aber es ging mir schon durch den Kopf. Das Werk stellt die Frage nach der animalistischen Natur des Menschen und der gezähmten Menschenrolle, die wir in den Städten einnehmen müssen. Macht und Gesetze zügeln uns. Der dünne Film der Zivilisation. Doch wir sind fähig zu Gräuel und Gewalt. Homo homini lupus est. Wir tragen ihn in uns, den Wolf.
But, essentially, I’m an animal
So, just what do I do with all the aggression?
Ich bin davon überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich tabuisierten Themen heilend wirken kann. Über den Tod, Gelüste, Perversionen, Ekel oder eben Selbstmord spricht man nicht. Man macht diese Dinge meist mit sich selbst aus. Doch die Auseinandersetzung nimmt der Sache die Gefahr, die Arbeit mit dem eigenen Schatten wirft Licht auf die dunklen Kapitel und Aspekte des Lebens. Der Mensch, wir als Kollektiv, müssen uns immer wieder mit Verdrängtem konfrontieren, sonst wird es übermächtig.
Insofern widerspreche ich Nietzsches oft bemühtem Satz: Wenn du lang genug in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich. Ich denke, das Gegenteil kann ebenfalls wahr sein: Wenn du dem Anblick des Abgrunds lange genug ausweichst, blickt er irgendwann in dich.
Es ist nur ein Gedanke. Ich bin Gnarls Barkley jedenfalls dankbar für die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema. Mit einem großen und unterschätzten Song, auf einem großen Album.
Über den Autor
Aron Morhoff
Aron Morhoff studierte Medienethik. Seine Schwerpunkte sind die gesellschaftliche Disruption, Fragmentierung und Entfremdung durch mediale und technologische Entwicklungen. Abschlussarbeiten u.a. zur Dynamik politischer Debatten in sozialen Netzwerken und der medialen Rezeption der Ausschreitungen in Chemnitz. Als Kolumnist, Autor und Podcaster aktuell u.a. für Manova und Michael Meyen. Seine Latenight-Liveshow heißt "Addictive Progamming".