Obacht, das Kennzeichen HH dürfte demnächst den Verfassungsschutz auf den Plan rufen, mindestens aber die Polizei. Zugegeben, das ist eine Übertreibung. Zugleich muss man heute mit dem Abschüssigsten rechnen, das herangezogen wird, um Menschen als angeblich rechtsextrem zu überführen.
Anders gesagt: Im „Kampf gegen rechts“ sind längst alle Dämme gebrochen. Wie sehr über das Ziel hinausgeschossen wird, zeigt der Fall einer 16-Jährigen aus Mecklenburg-Vorpommern, die wegen eines Schlumpf-Videos nicht nur eine polizeiliche „Gefährderansprache“ im Schulgebäude über sich ergehen lassen musste, sondern von Medien tagelang massiv gejagt wurde. Und das, obwohl die Polizei deutlich gemacht hatte, dass nichts gegen das Mädchen vorliegt. Dass das wiederum deren Einsatz ad absurdum führt, irritiert zusätzlich.
Jeder noch so hanebüchene „Beweis“ wurde von den Medien herangezogen, um das Mädchen, das in jenem Schlumpf-Video seine Affinität zur AfD deutlich gemacht hat, zu kriminalisieren und unter Naziverdacht zu stellen. Völlig durchgedreht wurde es, als ein weiteres Video auftauchte, in dem die 16-Jährige eine Jacke von Helly-Hansen trägt, auf der – logischerweise! – das Logo HH abgedruckt ist. Unter anderem die FAZ scheute sich nicht, das dann so darzustellen: „Auf dem Kapuzenpullover sind die Buchstaben HH aufgestickt, was für „Heil Hitler“ steht.“
Für linke Propaganda wird also, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Minderjährige zum Abschuss freigegeben. Wie beängstigend wird es eigentlich noch? Auch Kindergartenkinder stehen übrigens längst unter Verdacht. Bereits im Jahr 2018 wurde eine vom Familienministerium unterstützte Broschüre herausgegeben, in der dargestellt wird, dass Mädchen, die Kleider und Zöpfe tragen und gerne handarbeiten, aus „völkischen Familien“stammen könnten. Fehlt nur noch, dass man auf Unterschallbildern nach dem Hitler-Grußfahndet.
Was ist nur in Deutschland los? Längst steht der Verdacht, der andere könnte ein Nazi sein, auf der Tagesordnung. So inflationär wie dieser Begriff verwendet wird, dürfte irgendwann kaum jemand übrig bleiben, der nicht unter Nazi-Verdacht steht. Es gibt Menschen, die alle Nicht-Geimpften so betiteln. Viele Coronamaßnahmenkritiker wiederum wittern in Regierungsreihen Nazis. Andere unterstellen Kritikern der Klima- und Genderideologie, sie wären Nazis. Wer Probleme in der Migrationspolitik anspricht, bekommt das diffamierende Etikett ebenfalls aufgepappt. Glaubt irgendwer wirklich, dass Millionen Bundesbürger still und heimlich darauf warten, plündernd und mordend durch Deutschlands Straßen ziehen zu können? Oder dass protestierende Landwirte, die ebenfalls mit einer Gülle von Nazi-Vorwürfen überschüttet wurden, von einer Karriere als SS-Sturmbannführer träumen?
Wenn irgendwann jeder als Nazi gilt, was bedeutet die Bezeichnung dann überhaupt noch? Dann geht es höchstens um eine Unmutsbekundung gegenüber Menschen, die eine andere Meinung haben als man selbst, um solche, die einem irgendwie nicht in den Kram passen. Dann also meint man damit eigentlich nichts weiter, als „Du Depp“.
Es wird Zeit, den Begriff endlich dort einzuordnen, wohin er gehört: In die Vergangenheit. Nazis waren Anhänger des Nationalsozialismus, also einer völkisch-antisemitisch-nationalrevolutionären Bewegung, die sich in Deutschland als Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) organisierte und von 1933 bis 1945, unter der Führung Adolf Hitlers, eine totalitäre Diktatur errichtete.
Anders gesagt: Wer von Nazis spricht, der spricht, bis auf die sehr wenigen allerletzten Überlebenden, von Toten. Zugleich gibt es auch heutzutage Menschen, die sich in eindeutig nationalistisch-völkischer Weise mit rassistischen Parolen und unter Hervorhebung eines natürlichen Führungsanspruchs der Deutschen äußern. Und die, wenn man Präzision walten lassen will, je nach Ausprägung entweder als völkisch, identitär, rechtsradikal oder neonazistisch einzuordnen sind. Aber eben nicht als – Nazi.
Der inflationäre und eben faktisch nicht richtige Gebrauch des Nazi-Begriffs führt außerdem zu einer unzulässigen Relativierung der Brutalität der Nazi-Diktatur. Wenn ein Schlagersänger wie Michael Wendler oder ein Volksmusikbarde wie Heino als Nazis gelten – beide erlebten entsprechende Diffamierungskampagnen – wie gefährlich können dann Nazi-Verbrecher wie Joseph Goebbels und Heinrich Himmler überhaupt gewesen sein?
Es tut also not, auf den Nazi-Vorwurf zu verzichten. Dadurch wird eine ganze Gesellschaft aufatmen können.
Über den Autor
Sylvie-Sophie Schindler
Sylvie-Sophie Schindler, ist in Oberbayern aufgewachsen. Sie ist in Schauspiel, Philosophie und Pädagogik ausgebildet und hat weit über 1.500 Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleitet. Als Journalistin begann sie bei der Süddeutschen Zeitung, war jahrelang als Lokalreporterin für den Münchner Merkur tätig und belieferte Medien wie stern, VOGUE und GALORE mit ihren Texten. Zig tausend Artikel später orientierte sie sich im Journalismus neu, um frei und ohne Agenda schreiben zu können. Aktuell veröffentlicht sie unter anderem für die WELTWOCHE und Radio München. Sie ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises. Mit ihrem YouTube-Kanal DAS GRETCHEN will sie die Dialogbereitschaft stärken. In Vorträgen und in Netzwerken setzt sie sich für neue gesellschaftliche Wege ein, die auf Selbstorganisation, Herzoffenheit und freiem Denken gründen.