Die kürzlich freigeklagten RKI-Protokolle zeugen von fragwürdiger Kommunikation, fehlender Evidenz und politischem Einfluss während der Corona-Krise. Eine Veranstaltung von GGI, Idealism Prevails, dem Kollektiv „nixonfollowsthemoney“ möchte Bewusstsein schaffen und einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten.
„Es ist die Zeit für Versöhnung gekommen.“ Im Saal wird lautes Gemurmel hörbar, einzelne Stimmen rufen durcheinander. „Wie kann es Versöhnung geben, wenn mich niemand um Verzeihung gebeten hat?“ fragt eine Frau aus dem Publikum.
Franz Leisch ist der einzige Teilnehmer der Veranstaltung RKI-Files in Wien, der die „andere Seite“ vertritt. Angefragt wurden rund 40 Vertreter von Behörden, doch es regnete Absagen. Als ehemaliger ELGA-Chef erzählt Leisch aus der Corona-Zeit: „Auch gegen meine Mitarbeiter hat es Drohungen gegeben.“ Bekannt wurde der Digitalisierungsexperte unter anderem wegen seiner Kritik an der geplanten Impfpflicht – er bezweifelte, dass diese dem EU-Datenschutzrecht entsprechen würde. „In Österreich zählt nicht die Expertise, sondern die Position“, so Leisch, der Ende 2022 die ELGA verließ.
Der Lorely-Saal in Wien-Penzing ist bis auf den letzten Platz besetzt, als Moderator Reinhard Jesionek (ehem. ORF-Moderator) und die Moderatorin und Journalistin Sabine Spögler (ehem. ORF) den Abend eröffnen. Der deutsche Finanzwissenschaftler Stefan Homburg sorgt mit seiner Keynote zu den freigeklagten RKI-Protokollen für eine Mischung aus Gelächter und ungläubigem Staunen unter den Anwesenden. Zitate wie „Es soll diese Woche hochskaliert werden“ (16.3.2020), „Es gibt keine Evidenz für den Nutzen von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes“ (30.10.2020) oder „Bei mRNA-Impfstofen haben wir nur Daten aus Tierversuchen“ (8.1.2021) sprechen eine deutliche Sprache.
Anschließend moderiert Jesionek das erste Panel: Neben Franz Leisch nehmen Monika Henninger-Erber, ehemalige Pharma-Managerin und Nachhaltigkeitsexpertin sowie Andreas Sönnichsen auf dem Podium Platz. Der streitbare Mediziner erlangte während der Corona-Krise traurige Berühmtheit: Weil er sehr früh einen kritischen Standpunkt einnahm, der nicht nur die Anzahl der Testpositiven und der Corona-Toten zählte, sondern auch die immensen Kollateralschäden im Blick hatte, wurde Sönnichsen diffamiert und verlor schließlich seine Professur an der MedUni Wien. Im Gespräch erzählt der Arzt und Wissenschaftler, wie er bereits im März 2020 als Leiter des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin eine Stellungnahme zu den Corona-Maßnahmen verfasste. „Dass das RKI als von Steuerzahlern finanzierte Bundesbehörde erst geklagt werden musste, um seine Corona-Protokolle zu veröffentlichen, ist ein Skandal“, kritisiert Sönnichsen.
Monika Henninger-Erber wiederum fragt sich, weshalb gerade „soziale“ Politiker weggesehen hätten, als Menschen durch die Maßnahmen in ihrer Existenz bedroht waren. „Eine Krise können wir nur mit gegenseitigem Vertrauen schaffen, doch passiert ist das Gegenteil.“
Maßnahmen grob verfassungswidrig
Nach der Pause geht es mit einem zweiten Panel weiter: Madeleine Petrovic, ehemalige Grüne Spitzenpolitikerin, der deutsche Rechtsanwalt Markus Haintz und Stefan Homburg nehmen am Podium Platz. Durchs Gespräch führt die ehemalige ORF-Mitarbeiterin Mag. Sabine Spögler – die ihren Hut nahm, als im ORF die 2G-Regel eingeführt wurde. Sie stellt angesichts der Erkenntnisse aus den RKI-Files die Frage nach dem Warum.
Stefan Homburg verweist auf internationale Planspiele wie SPARS, die seit 1999 regelmäßig durchgeführt wurden, um mögliche Pandemien zu simulieren – und deren Verlauf der Corona-Pandemie oft täuschend ähnlich war. Markus Haintz vermutet Macht und Geld als treibende Kräfte. „Die Maßnahmen waren grob verfassungswidrig“, kritisiert der Rechtsanwalt. Er verfasste bereits im Mai 2020 einen offenen Brief an die Mitglieder des deutschen Bundestages, worin er in 30 Fragen seine Bedenken zur Verfassungskonformität der Corona-Maßnahmen formulierte und auf deren Kollateralschäden aufmerksam machte.
Die Gesprächsrunde endet versöhnlich: Auf die Frage, ob eine Aufarbeitung noch möglich sei, verweist Madeleine Petrovic auf historische Ereignisse: „Wer hätte gedacht, dass die Berliner Mauer jemals fallen würde?“
Zu den Unterstützern der Veranstaltung zählen Wir EMUs, Plattform Respekt sowie Nixon Follows The Money – eine Kunstaktion, die auf Lobbying, Machtmissbrauch und die Interessen des Kapitals aufmerksam machen möchte.
Zum Hintergrund:
Das deutsche Multipolar Magazin klagte auf Basis des deutschen Informationsfreiheitsgesetzes auf Herausgabe der Corona-Protokolle des Robert Koch Instituts. Diese wurden im April 2024 freigegeben – mit zum Teil geschwärzten Passagen. Ein weiterer Gerichtsbeschluss besagte, dass auch diese Passagen öffentlich gemacht werden müssen.
Im Vorlauf zu dem Event sprach Thomas Stimmel mit Prof. Dr. med. Andreas Sönnichsen
Der Verein Wir EMUs bereitet zur Zeit eine ORF-Beschwerde gegen einseitige irreführende Berichterstattung zu den RKI-Files vor. Armin Wolf hatte in der ZIB2 unter anderem Multipolar als „rechtes Online-Magazin“ bezeichnet. Hier kann die Beschwerde unterstützt werden: https://wir-emus.com/newsletter
RKI-Files zum Download: https://my.hidrive.com/share/2-hpbu3.3u#$/
Über den Autor
Susanne Wolf
Susanne Wolf ist freie Journalistin und Autorin und begleitet schreibend den aktuellen gesellschaftlichen Wandel. Sie hat sich dem konstruktiven Journalismus verschrieben, der sich bei all den Herausforderungen unserer Zeit auf die Suche nach möglichen Lösungen macht. Dabei bleibt sie immer dem journalistischen Grundprinzip des kritischen Hinterfragens treu.