Wehe einer steigt dieser Tage auf einen Trecker! Man muss noch nicht mal den Motor angelassen haben, schon geht die mediale Hetze los. Auch zahlreiche Ampel-Politiker können gar nicht davon genug kriegen, jeden Landwirt als rechtsextrem zu brandmarken. Manch einer hat gar feuchte Träume, Bauern-Proteste völlig zu verbieten. Dass das mit demokratischen Vorstellungen kollidiert, scheint da gar nicht zu kümmern.
Apropos feuchte Träume. Cem Özdemir kennt sich damit neuerdings aus. Zumindest behauptet der deutsche Landwirtschaftsminister das. Nach der Bauern-Blockade der Habeck-Fähre in Schlüttsiel tat er so, als wüsste er genau, was in den Demonstranten vorgeht: „Das sind Leute, die haben feuchte Träume von einem Umsturz.“
Der Grünen-Politiker hat keine Beweise, er sagt es einfach so. Wohl weil es in Mode ist, jedem, der mit der Regierung nicht klarkommt, zu unterstellen, er würde das System stürzen wollen. Wer es sich so erklärt, vermeidet, über die eigenen politischen Fehler nachdenken zu müssen.
Das ist verwerflich, aber ebenso weit verbreitet. Die meisten, die ihren Partner bei einem Seitensprung erwischen, kommen gar nicht auf die Idee, dass sie vielleicht selbst dazu beigetragen haben. Ganz einfach dadurch, weil sie unausstehlich geworden sind. Natürlich rechtfertigt das keine sexuellen Eskapaden in fremden Betten, aber nachvollziehbar ist es.
Zurück zu den feuchten Träumen. Also zu denen von einem Umsturz. Luisa Neubauer beispielsweise macht immer wieder deutlich, dass Demokratie nervt und lähmt. Am besten wäre daher, sie abzuschaffen. Nur dann könne das Klima gerettet werden. Özdemir scheint das allerdings nicht zu besorgen. Vielleicht wird es erst spruchreif, wenn sich die FFF-Fanatikerin auf einen Traktor setzt?
Überhaupt ist die Staatsfeindlichkeit der Klima-Kriminellen schon in Ordnung. Oder hat man je von Regierenden und Leitmedien die großen Aufschreie gehört? Musste sich je ein Pattex-Aktivist anhören, er sei Nazi, Querdenker und dergleichen? Au contraire! Die berichtenden Damen und Herren sind weitestgehend verliebt in deren Blockaden und schalten in ihren Reaktionen auf Kuschelkurs.
„Klimaterroristen” wurde gar zum Unwort des Jahres 2022 gekürt. Das gehe nämlich gar nicht, die Aktivisten zu kriminalisieren und zu diffamieren. Dass sie mit ihren Blockaden und Sachbeschädigungen gegen Gesetze verstoßen, dient einer höheren Sache, also bloß nicht darüber aufregen. Auch in Österreich gibt es viel Zuspruch: Vor wenigen Tagen versorgte die Polizei in Ischglauf der Straße hockende Klima-Kleber fürsorglich mit Wärmedecken.
Gute Proteste, böse Proteste. Da die Klimaretter, dort die Bauernrebellen. Kommt einem irgendwie bekannt vor. Mit zweierlei Mass wurden vor einigen Jahren bereits die „Black Lives Matter“-Demonstrationen und Anti-Corona-Demonstrationen gemessen. Nun wiederholt sich das perfide Spiel. Und zeigt, dass es um die Demokratie nicht gerade gut bestellt ist.
Die Argumentation, die mehrfach zu hören ist, man müsse die Bauernproteste verbieten, um die Demokratie zu schützen, ist geradezu absurd.
Die Versammlungsfreiheit ist ein besonders hohes verfassungsrechtliches Gut. Sie ist unter anderem als Staatsbürgerrecht im Grundgesetz verankert, Würde man dieses Recht nur Gruppen zugestehen, die Medien und Regierung genehm sind, wäre die verfassungsrechtlich verankerte Garantie der Versammlungsfreiheit entwertet. Oder anders gesagt: Für Andersdenkende dürfen keine anderen rechtliche Kriterien gelten
Rosa Luxemburg drückte es so aus: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit.“
Es ist etwas ins Rutschen geraten.
Können wir es aufhalten?
Über den Autor
Sylvie-Sophie Schindler
Sylvie-Sophie Schindler, ist in Oberbayern aufgewachsen. Sie ist in Schauspiel, Philosophie und Pädagogik ausgebildet und hat weit über 1.500 Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleitet. Als Journalistin begann sie bei der Süddeutschen Zeitung, war jahrelang als Lokalreporterin für den Münchner Merkur tätig und belieferte Medien wie stern, VOGUE und GALORE mit ihren Texten. Zig tausend Artikel später orientierte sie sich im Journalismus neu, um frei und ohne Agenda schreiben zu können. Aktuell veröffentlicht sie unter anderem für die WELTWOCHE und Radio München. Sie ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises. Mit ihrem YouTube-Kanal DAS GRETCHEN will sie die Dialogbereitschaft stärken. In Vorträgen und in Netzwerken setzt sie sich für neue gesellschaftliche Wege ein, die auf Selbstorganisation, Herzoffenheit und freiem Denken gründen.