Dass noch viel größere Problem ist doch, dass die Welt ihr ganz eigenes Ding macht. Also die Erde. Dass ihr Untergang einfach nicht kommen will, und das seit Jahrhunderten, liegt gewiss nicht daran, dass die Menschheit sich so wahnsinnig darum kümmern würde, dass er verhindert wird. Im Gegenteil setzt sie im Grunde ziemlich viel dran, einen Zustand zu schaffen, auf den die Erde keine Lust mehr haben könnte. Trotzdem ist sie noch da. Und vielleicht wollte sie noch nie untergehen. Vielleicht ist die Idee, sie würde es, nichts als ein großes Missverständnis.
Ich habe da so meine Erfahrungen gemacht. Als Kind in den achtziger Jahren taumelte man von einer Katastrophe in die nächste: Waldsterben, Tschernobyl, Ozonloch. Bereits der Frühstückskakao war umschattet; einige Zeit kam ich fast jede Woche mit einer neuen Hiobsbotschaft heim. In der Schule kursierten unaufhörlich Weltuntergangs-Gerüchte und sowarnte ich meine erstaunten, gegen Angstmache immunen Eltern : „Macht euch bereit, am Mittwoch geht die Welt unter.“ Als das dann nicht geschah, sagte ich, vom nächsten Panik-Geraune auf dem Pausenhof befeuert: „Aber am Samstag bestimmt.“ Als Kind wusste ich nicht so recht, wie ich mir das eigentlich vorstellen sollte. Wird die Erde von einem schwarzen Loch verschluckt, oder stürzen wir in Richtung Sonne ab?
Ich erinnere mich genau, wie ich, noch Grundschülerin, im abgedunkelten Klassenzimmer saß und uns via Unterrichtsfilm klargemacht wurde, dass es spätestens im Jahr 2010 keinen Baum mehr geben würde. Keinen einzigen weltweit. Stattdessen maximale Ödnis. Tränen stiegen in mir auf ob der trostlosen Zukunft, die mir bevorstehen würde. Ich war wochenlang kaum zu beruhigen, nachts albträumte ich davon. Irgendwann wurde mir klar, dass die Welt in Sachen Untergang nicht besonders zuverlässig ist.
Auch beispielsweise bei den Zeugen Jehovas tat sich nichts in dieser Richtung. Obwohl sie die „letzten Tage“ so dringend beschworen haben, und das gleich mehrmals, etwa für das Jahr 1914, 1918 und 1925. Auch am 1. Januar 1976 hätte es eigentlich endlich soweit sein sollen, doch auch das scheiterte. Immer kam etwas dazwischen; die Welt blieb einfach da. Dass die erste angekündigte Apokalypse ausfiel und alle anderen, hatte zur Folge, dass seither dieWeltuntergangsuhr nicht mehr terminiert wird, sondern unaufhörlich tickt.
Nun fragt man sich, wieso die Idee des Weltuntergangs derart populär ist. Mir scheint, als würde sich die Menschheit, sehr zur Freude der Regierenden, nach und nach in eine Gemeinschaft der Zeugen Jehovas verwandeln oder in sonst irgendeine Sekte, die ohne Dystopie überhaupt nicht überlebensfähig wäre. Das ist in etwa so, als würde man nur deshalb heiraten, damit man sich von der Scheidung permanent bedroht fühlen kann.
Mit Klima-Fanatikern ist sowieso nicht zu spaßen. Jedes „Hurra, wir leben noch“ wird mit einem eisigen Fräulein-Rottenmeier-Blick quittiert. Bloß nicht übermütig werden, bloß nichts auf die leichte Schulter nehmen. Wenn man den Gretas und Luisas so zuhört, ist Gnadenlosigkeit Programm. „Wir werden euch das nie vergeben! Wir werden euch das nicht durchgehen lassen!“, donnerte Thunberg auf dem Uno-Klimagipfel im September 2019.
Dass sich Menschen, gerade junge, um ihre Zukunft sorgen, wer wollte es ihnen verdenken. Doch worum geht es wirklich? Welche eigentlichen Nöte stecken hinter den „Wir-retten-die Welt“-Feldzügen? Und was wäre, wenn man die Welt einfach mal in Ruhe lässt mit all den apokalyptisch inspirierten Belästigungen?
Soeben lese ich, dass das arktische Eis ebenfalls in den Streik getreten ist – es weigert sich, weiter zu schmelzen. Oder anders gesagt: Weltuntergang fällt mal wieder aus.
Über den Autor

Sylvie-Sophie Schindler
Sylvie-Sophie Schindler, ist in Oberbayern aufgewachsen. Sie ist in Schauspiel, Philosophie und Pädagogik ausgebildet und hat weit über 1.500 Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleitet. Als Journalistin begann sie bei der Süddeutschen Zeitung, war jahrelang als Lokalreporterin für den Münchner Merkur tätig und belieferte Medien wie stern, VOGUE und GALORE mit ihren Texten. Zig tausend Artikel später orientierte sie sich im Journalismus neu, um frei und ohne Agenda schreiben zu können. Aktuell veröffentlicht sie unter anderem für die WELTWOCHE und Radio München. Sie ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises. Mit ihrem YouTube-Kanal DAS GRETCHEN will sie die Dialogbereitschaft stärken. In Vorträgen und in Netzwerken setzt sie sich für neue gesellschaftliche Wege ein, die auf Selbstorganisation, Herzoffenheit und freiem Denken gründen.