TV-Kabarettist Mathias Richling im Interview

Matthias Richling gilt seit Jahrzehnten als etablierter Kabarettist und Satiriker. Mit seiner TV-Sendung „Die Mathias Richling Show“ im Südwestdeutschen-Rundfunk sezierte er jahrelang stets amüsant und mitunter böse nationale sowie internationale Politik. Speziell seit 2020 zeigte er sich als einer der ganz wenigen seines Faches – vor allem im Kollegenkreis des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks – als regierungs- und maßnahmenkritisch. Aktuell macht Richling auch mit seiner Buch-Neuveröffentlichung „Enttarnt“ auf sich aufmerksam. Wir haben den Ausnahme-Künstler für ein Interview gewinnen können und versucht, einen Blick hinter die Vorhänge seiner Satire zu werfen …

Das Interview führte Philipp Ott

Herr Richling, gerade in einer Zeit, in der es eigentlich nichts zu lachen gab, haben Sie den Menschen dennoch ab und zu mal ein Lachen entringen können. Nun ist es so, dass die Zeiten seit 2020 ja nicht unbedingt lustiger geworden sind – oder?

Nein, die wurden nicht lustiger. Aber es geht im Kabarett oder in der Satire auch nicht immer darum, lustig zu sein. Sondern eigentlich geht es darum, den Menschen Sachen klarzumachen – indem man die Dinge weiterdenkt, die von der Politik angedacht oder initiiert sind beziehungsweise ausgesprochen werden. Doch abgesehen davon, ob das alles witzig sein muss, waren meine Kollegen und ich immer der Ansicht, dass das, was uns jetzt als Regierung bestimmt, kommentiert werden muss – ob links, rechts, oben oder unten, völlig egal. Ob kritisch oder nicht, muss man dann sehen. Als Satiriker sind wir jedenfalls nicht dazu da, eine Regierung zu belobhudeln.

Seit der Corona-Zeit kam jedoch etwas dazu, was wirklich neu ist. Da habe ich es tatsächlich erstmals erlebt, dass sich Regierungsparteien bei mir gemeldet und gefragt haben: wieso kritisierst du uns eigentlich? Auffällig in diesem Zusammenhang ist sicherlich auch die jetzige Ampelregierung. Beispielshalber verklagt Frau Baerbock doch allen Ernstes Mitbürger, die sie auf einem Plakat als kleines Mädchen dargestellt haben – das muss man sich mal vorstellen! Oder Frau Faeser sagt wirklich, dass sie scharfe Strafen für diejenigen möchte, die den Staat verhöhnen. In meinem ganzen Programm mache ich jedoch permanent nichts anderes. Und das ist abgedeckt vom Strafgesetzbuch, wonach sie zum Beispiel niemanden beleidigen dürfen. Doch sogar den Hohn möchte nun Frau Faeser noch eliminieren – aber da geht es um die freie Meinungsäußerung!

Und es kam mit Corona noch etwas höchst Befremdliches hinzu: Selbst in meinem Genre habe ich so etwas wie Subalternität in Form einer Regierungsunterwürfigkeit empfunden. Denn leider musste ich auch Kollegen erleben, welche wiederum andere Kollegen angegriffen haben, die irgendwelche irrwitzigen Maßnahmen kritisiert haben. Doch anstatt die anderen anzugreifen, wäre es eigentlich deren Aufgabe gewesen, die Regierung zu kritisieren. Und damit zurück zu ihrer Frage – es muss im Kabarett nicht immer etwas zu lachen geben. Wichtig ist es, den Menschen Formulierungen mitzugeben, um das besser weiterdenken zu können, was sie vielleicht unterbewusst schon empfunden haben.

Demnach entsteht der Eindruck, Sie wüssten mehr als die breite Masse?

Das würde ich so nicht sagen. Aber ich weiß es vielleicht komprimierter. Jemand, der einen normalen Job hat, sieht sich ja nicht jeden Tag 10-15 Zeitungen durch. Vielleicht gibt es bei dem die Tagesschau oder die News auf NTV – womit er nach 15 Minuten durch ist.

In welcher Menge konsumieren Sie denn Medien?

Pausenlos. Ich lese jeden Tag mindestens zehn Tageszeitungen. Das ist ein wesentlicher Bestandteil meines Jobs.

Ihr hoher Informationsgrad, in Kombination mit der Eigendefinition ihres Jobs, macht deutlich, dass Sie Kabarett wahrscheinlich auch in Krisenzeiten eine besondere Rolle zuschreiben?

Natürlich. Gerade in Corona waren die Leute zum Teil mit derartig unverhältnismäßig sowie grotesken Maßnahmen konfrontiert, dass man das eigentlich unausweichlich thematisieren musste. Oder wenn Sie sich heute die Corona-Protokolle durchlesen, sehen Sie zum Beispiel, was Herr Lauterbach alles verkorkst hat – sodass selbst die Mediziner ihn aufgefordert haben, etwas anderes zu tun. Und dennoch hat er seine Entscheidungen politisch durchgesetzt. Ich musste also in dieser Zeit ganz besonders das analytisch auseinandernehmen, was einfach real war. Auch wenn die Politiker am Anfang vielleicht nicht wussten, wie sie reagieren sollten …

Was hier geschah, ist genau das Gleiche, was 1985/86 mit dem Aufkommen des HI-Virus und AIDS geschehen ist. Die Situation war damals so hysterisch, dass man sich nicht getraut hat, aus dem Glas des Partners zu trinken. Erst als Lady Diana Anfang der 90er anfing, in Krankenhäuser zu gehen und AIDS-Kranken die Hand zu schütteln, hat sich die Situation normalisiert. Aber die Hysterie war bis dahin die gleiche wie bei Corona. Mit dem Unterschied, dass damals nicht ein einziges Restaurant geschlossen wurde. Und das, obwohl damals eine krasse Tatsache im Raum stand: Derjenige, der zu dieser Zeit das HI-Virus bekommen hat, war tot! 

Im Kabarett liegt also in solchen Situationen die Aufgabe vor allem auch darin, aufklärerisch zu wirken.

In Ihren Ausführungen wird bereits deutlich, dass da noch mehr sein muss als der dem breiten Publikum bekannte Schauspieler, Kabarettist und Satiriker. Und Sie haben ja auch Philosophie studiert. Wo liegt Ihr Schwerpunkt in der Philosophie? Können Sie Ihre philosophische Weltsicht in wenigen Sätzen auf den Punkt bringen?

Das ist in drei Sätzen nicht zu fassen. Jedoch gibt es ein Leitmotiv: „Was ich nicht gesagt habe, habe ich nicht gedacht.“ Man muss also den Menschen die Möglichkeit geben, etwas auszusprechen. Ich beziehe mich hier stark auf Wittgenstein, auf seinen „Tractatus logico-philosophicus“. Und was die Überheblichkeit der Menschen angeht, scheint mir noch eine weitere These Wittgensteinsäußerst wichtig – dass die Welt eigentlich ICH ist. Also, ich bin meine Welt und in dieser spielt sich alles ab. Denn was über den eigenen Horizont hinausgeht, findet ja für die meisten Menschen nicht statt. Und wie klein ist der Horizont der Menschen oft, weil sie sich für vieles nicht interessieren. Für Politik nicht und natürlich vieles mehr … 

Nicht alle haben permanent jedes Thema auf der Pfanne – dafür muss man Verständnis haben. Die Welt ist für den einen emotional oder intellektuell nicht so groß wie für den anderen. Und das muss man einfach berücksichtigen.

Trotzdem ist es ihre Welt. Sich darüber hinwegzusetzten, wäre schlichtweg überheblich. Nicht alle haben permanent jedes Thema auf der Pfanne – dafür muss man Verständnis haben. Die Welt ist für den einen emotional oder intellektuell nicht so groß wie für den anderen. Und das muss man einfach berücksichtigen.

RICHLING UND DER HUMANIST ORWELL

Klingt nach einem Grundsatz des Humanismus. Diesbezüglich bin ich in Ihrem Lebenslauf 1984 auf folgenden Punkt gestoßen: „1984 – George Orwell.“ Vielleicht auch aus philosophischer Perspektive – was hat das Buch mit Ihnen gemacht? Warum ist das für Sie besonders erwähnenswert?

Was das Werk 1984 angeht, gibt es natürlich Überschneidungen mit meiner Schulzeit – ich habe es als Schüler gelesen. Zum anderen wurde mir um 1983/84 die bei Orwell angesprochene totale Kontrolle wirklich bewusst, was ja auch die Gründung der Grünen in Deutschland initiierte. Denn das erste, was die Grünen wirklich bewegt haben, war ja die Einstampfung der Volkszählung 1983 – welche wir damals empörend fanden. 

Und was Orwell angesprochen hat und uns Mitte der 80er so offenbar wurde, ist ja etwas, was sich heute in extremer Weise fortsetzt – mit der herrschenden Selbstkontrolle. Also die permanent stattfindende Selbstexhibitionierung im Netz. Für unsereins, der 1984 als Schüler bewusst gelesen hat, ist das ja unerträglich. Ich meine das Sich-Selbst-Prostituieren mit jedem Scheiß-Dreck nach dem Motto: Ich poste nicht nur was ich gegessen, sondern auch was ich geschissen habe!

Es ist die von Orwell angesprochene Big-Brother-Mentalität. Dieses anbrechende Zeitalter der totalen Kontrolle hat mich damals wie heute sehr bewegt – weshalb ich zum Beispiel radikal bin mit der Herausgabe von Daten. Aber vor allem geht es mir auch um die Selbststeuerung. Es ist diese eigenwillige Bereitschaft der Leute, sich steuern zu lassen und sich dieser Steuerung zu unterwerfen, die mich entsetzt. Par excellence haben Sie das ja auch bei Corona erlebt.

Setzt aber voraus, dass die Leute auch alles glauben, was sie vom Staat vorgesetzt bekommen?

Ja, natürlich. Aber diese Gläubigkeit beziehungsweise Obrigkeitshörigkeit wird noch untermauert und bekräftigt von Politikern wie zum Beispiel Herrn Habeck. Der hat doch tatsächlich gesagt: „Der Staat macht keine Fehler.“ Und wie gut doch die Bürokratie für uns wäre … diese Aussage gerade aus dem Munde eines Grünen – unvorstellbar! Und das belegt übrigens, dass die Grünen sich in ihrer Entwicklung Dinge geleistet haben, für die andere Regierungen früher gelyncht worden wären. Eigentlich müsste man deren Forderungen konsequent dem gegenüberstellen, was sie sich permanent an Verfehlungen leisten. 

Was findet dann im Hintergrund statt, dass das weiterhin so sein darf? Wie kann sich eine derartige Regierung weiterhin im Sattel halten?

Da sind wir eigentlich wieder bei Corona. Es geht hier schlichtweg um Bedrohungsszenarien. Und die Leute spüren ja zum Beispiel auch, wie sich das Klima ändert – das ist ganz offensichtlich. Doch den Klimawandel hat es immer gegeben. Früher war es wegen Vulkanen und Sintfluten, heute ist es eben wegen des Menschen. Aber egal, wie er geschieht – so schnell lässt sich das nicht ändern.

Und dann bilden die sich ein, führe man heute E-Autos, wäre das Ganze morgen vorbei – was natürlich Schwachsinn ist.

Ob es das permanente Bemühen und Aufrechterhalten von Bedrohungsszenarien oder aber die totale Kontrolle ist – sie üben offenbar massiv humanistische Systemkritik. Sehen Sie denn den Humanismus in unserem System überhaupt noch verankert? 

Ich denke, dass die Bereitschaft, auf andere zuzugehen, sehr stark abgenommen hat. Und gleichzeitig ist das Hasspotenzial überaus groß geworden – wenn wir uns nur allein die Entgleisungen im Netz ansehen. Doch, wo kommt das her? Was hat sich bei den Menschen verändert, dass sie so vollkommen unkontrolliert und maßlos über andere herziehen? Im Grunde ist es ganz einfach, es hat natürlich mit der Anonymisierung der Gesellschaft zu tun. Denn wenn ich im Netz bin und irgendetwas schreibe, habe ich keine Korrektur. Vielleicht kommt einer drei Tage später und schreibt irgendetwas dagegen, aber er konfrontiert mich nicht persönlich damit.

Ich vergleiche das gerne mit der Situation im Auto, wenn der vor Ihnen nicht losfährt. Was machen Sie? Sie würden wahrscheinlich schimpfen: „Kann der nicht losfahren, der Idiot? Wo hat der bloß seinen Führerschein gemacht, der Volltrottel!“ In dem Moment, in dem der Vordermann aussteigen und zu Ihnen gehen würde, worauf sie das Fenster runterkurbeln, wären wahrscheinlich 80 Prozent dieses Hasses verflogen. Dann würde der vielleicht sagen: „Entschuldigung, ich habe meinen Motor abgewürgt – können Sie mir vielleicht helfen?” Und dann steigen Sie vielleicht sogar aus und helfen dem.

Unterm Strich soll das heißen, dass der persönliche Kontakt durch die Anonymität des Internets komplett verloren gegangen ist. Und das heißt auch, dass das Miteinander verloren gegangen ist. Und das forciert diesen Hass untereinander gewaltig, was sich dann natürlich ins Politische überträgt und überall in die gesamte Gesellschaft. Deswegen ist das mit dem Humanismus schwierig geworden.

DIE GEDANKLICHE FREIHEIT DES KABARETTS UND IHR SPIELRAUM IM SYSTEM

Der andere Aspekt des Humanisten Orwell ist die bereits von Ihnen angesprochene totale Kontrolle in allen Lebensbereichen. Das bezieht sich auch auf das, was man äußern darf, kann und soll – oder eben nicht. Als Kabarettist und Satiriker, wie frei können Sie denn eigentlich noch arbeiten? Oder gibt es da Grenzen, in Ihrem Denken und Auftreten, die Sie sich irgendwie setzen müssen, um ein Teil des Systems bleiben zu können?

Ich hatte bislang nicht ein einziges Mal das Gefühl gehabt, dass es irgendetwas gäbe, was ich nicht sagen könnte. Wirklich wahr. Das hat natürlich mit meinem Sender, dem SWR, zu tun. Und da habe ich schon ziemlich drastische Sachen gesagt. Zum Beispiel in einer Sendung vom Dezember letzten Jahres, da habe ich Greta Thunberg gemacht. Und was ich da alles über Juden, Israelis und Palästinenser sage – da bleibt Ihnen die Spucke weg.

Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich versuche, Dinge dialektisch aufzulösen beziehungsweise Gegenpositionen darzustellen, und nicht einfach als eigene Meinung rauszuhauen. Es ist nicht meine Aufgabe, das genauer zu analysieren. Ich merke nur, dass ich offenbar Wege gefunden habe, die Leute zwar zu konfrontieren, aber eben nicht zu brüskieren. Deswegen muss das Programm auch selbst durchdacht und selbst geschrieben sein, da alles hieb- und stichfest sein muss.

Es darf eigentlich nie beleidigend sein. Und wenn es beleidigend ist, dann muss es eine Begründung für die Beleidigung geben. Offensichtlich ist das mit der Mathias-Richling-Show Gelungen.

Wenn ich später argumentativ bezüglich meiner Inhalte konfrontiert werde, muss ich dem standhalten. Und wieder ein Gegenargument vorbringen können, das diese Vorwürfe entkräftet. Ich muss also wirklich jedem Satz genau wissen, was ich gesagt habe – und nicht einfach eine Beleidigung raushauen. Es darf eigentlich nie beleidigend sein. Und wenn es beleidigend ist, dann muss es eine Begründung für die Beleidigung geben. Offensichtlich ist das mit der Mathias-Richling-Show gelungen. Denn ich habe noch nie irgendwelche Vorschriften von Intendanten oder Direktoren des Senders bekommen. Selbst in dieser hochsensiblen Coronazeit nicht!

Dennoch – gerade in Corona haben Sie sich permanent regierungskritisch gezeigt. Der Tenor Ihrer Kollegen war davon jedoch weit entfernt. In den letzten Jahren wurde also zunehmend spürbar, dass gerade im ÖRR regierungskritische Inhalte sehr rar gesät sind. Dem Anschein nach müssten diese Inhalte mitunter sogar verhindert worden sein. Ihnen lässt man jedoch eine ganze Menge durchgehen. Wieso durften Sie diese Kritik üben – und andere nicht? Wie erklären Sie sich das?

Das kann ich mir nicht erklären. Aber das ist nicht nur erst jetzt so. Ich habe im SWR nie etwas erlebt, was man gemeinhin als Zensur oder Eingriff in Inhalte nennt. Vielleicht hat es mit meinem ständigen Bemühen zu tun, nicht polemisch und nicht beleidigend zu sein. Wobei die von mir gewählte Form sehr hilfreich ist. Also die Form, dargestellten Personen respektive Politikern das zu unterstellen, was man vielleicht als das Zu-Ende-Denken bezeichnen könnte. Oder den Leuten die Konsequenz von dem zu eröffnen, was Politiker rudimentär von sich geben. Auf diese Weise kann man sich einerseits drastischer ausdrücken, andererseits fühlt der Zuschauer sich nicht direkt angegriffen, weil er zwischen sich und mir eine Mittelfigur sieht, der er alles zuschreiben kann.

Zum anderen arbeite ich auch wunderbar mit meinen Redakteuren beim SWR zusammen – und ich habe wirklich Glück mit ihnen. Besonders sei hier die Arbeit mit Martin Müller erwähnt, der sogar das Nachwort für mein neues Buch „Enttarnt“ geschrieben hat. Und selbst, wenn ich letztlich vielleicht nicht alles sagen darf, was mir auf der Zunge liegt, ist das keine Zensur. Denn auch in dieser Zusammenarbeit gehen wir immer mit der Einstellung aufeinander zu, dass der andere recht haben könnte. Und da werde ich oft damit konfrontiert, dass man nicht über die Fakten hinausgehen kann. Doch letztlich arbeiten wir immer zusammen und nicht gegeneinander.

Ok, lassen wir das so stehen. Dennoch – Gesellschafts-Kritiker, unter ihnen auch ehemalige Granden des ÖRR, behaupten, Sendungen wie die Mathias-Richling-Show dienten lediglich als Feigenblatt dafür, das vielleicht vorsätzliche Versagen des ÖRR zu kaschieren. Auch der Sendeplatz Ihrer Show im SWR ließe derartige Schlüsse zu. Zwar ist sie vorhanden, aber nicht in vorderster Reihe. Möchten Sie dazu Stellung nehmen?

Sie rennen offene Türen ein, weil ich nie verstanden habe, dass man eine so aufwendige und trotzdem kostengünstig produzierte Sendung wie meine Show vor Mitternacht versteckt. Aber auch das ist nicht erst jetzt so, sondern um einen besseren Sendeplatz bitte ich seit gefühlten 100 Jahren. Inzwischen habe ich die Forderung danach aufgegeben. Aber nicht aus Resignation, sondern weil in der Zwischenzeit niemand, der jünger ist als 50 Jahre, noch analoges Fernsehen schaut – sondern sich im Netz bedient, bei Youtubeoder in der ARD-Mediathek. Dort sind die Klickzahlen vier-, fünf-, sieben-, oder gar achtmal so hoch wie die entsprechende Einschaltquote derselben Sendung.

GEO-POLITIK UND DER HUMOR ALS SCHLUPFLOCH FÜR VERDRÄNGTES

Sicher, diese Tendenz ist klar erkennbar. Gerade deshalb werden Sie Ihr Programm hoffentlich noch lange nach möglichst eigenen Direktiven weiterführen können. Mit dem Ihnen genuinen Charme, Humor und Witz. Doch Freud sah gerade auch im Humor ein Schlupfloch für Verdrängtes. Gibt es Verdrängtes, das Sie in nächster Zeit mit ihren Programmen auf die Bühne bringen werden?

Ein super Beispiel für Verdrängtes sind die Geschehnisse rundum den Ukraine-Krieg. Natürlich ist dieser Krieg zu verurteilen, ganz klar. Doch ich zitiere in meinem Programm auch Frau Krone-Schmalz als Russlandkennerin: Bei den Verhandlungen der Zwei-Plus-Vier-Verträge 1989/ 90 – bei denen also die vier alliierten Partner mit den beiden Partnern des geteilten Deutschlands zusammenkamen – sind der deutsche Außenminister Genscher sowie der amerikanische Außenminister im Kreml gewesen und haben den Russen versichert, dass es keine NATO-Osterweiterung über die alten Deutschlandgrenzen hinaus geben wird. Das bestätigt heute nach wie vor ein ehemals enger Mitarbeiter von Genscher. 

Und auch ich weiß es noch heute wie damals – die Crux war bloß, dass Bush Senior das nicht in die Verträge aufgenommen hat. Und die, die damals dabei waren, leben heute alle nicht mehr … und dann brauchen wir uns ja auch nicht mehr daran zu halten, oder? Aber unabhängig von der Tatsache, wie brutal und irre Putin geworden ist und welche katastrophalen Folgen das alles hervorgebracht hat, muss einmal mal mehr betrachtet werden, welche Fehler denn der Westen gemacht hat.

Wie hätte man auf Putin, als der 2001im Bundestag gesprochen hat, zugehen können? Oder wie wäre es gewesen – wie Frau Wagenknecht vergleicht – wenn die Russen in Kuba gewesen wären? Oder was würde passieren, wenn die Russen heute nach Mexiko gehen würden? In Anbetracht all dessen – und jetzt kommen wir wieder zu den Aussagen von Frau Krone-Schmalz – wie kann man nicht irgendwie nachvollziehen, dass Herr Putin sich auf die eine oder andere Art und Weise zur Wehr setzt? 

Landläufig würde man Sie mit derartigen Aussagen sicherlich gleich als Putinversteher brandmarken …

Ich zitiere ja nur, was Frau Krone-Schmalz sag. Ich transportiere lediglich ihre Aussagen. So, wie ich auch alle anderen in meiner Show zitiere. Ich will Ihnen das nur sagen, denn Sie sprechen doch von Verdrängen. Und da handelt es sich eindeutig um Verdrängtes. Dass das jetzt, in der Gegenwart, ins Irrsinnige gelaufen ist – das ist etwas anderes.

Es geht überhaupt nicht darum, jetzt irgendwie das zu begründen, ob Putin Recht hat mit der Ukraine oder nicht. Doch man könnte zum Beispiel die Frage stellen, was ich auch in meiner Sendung gesagt habe, warum man Putin etwa nicht in die NATO aufgenommen hat? Ganz einfach, dann wäre man doch alle Sorgen los? Kabarettistisch überspitzt natürlich … 

Und dann wollten die Polen in die NATO. Da hat man Russland sogar noch gefragt – und die haben zugestimmt. Als auf einmal Lettland und Litauen ebenfalls rein wollten, da wurden die Russen schon nicht mehr gefragt. Haben aber auch nicht widersprochen. Na – da haben sie also auch Fehler gemacht.

Noch ein weiteres Beispiel: Die Sowjetrussen haben 1979 Afghanistan überfallen. Und die Situation zwischen den Sowjetrussen und Afghanistan war punktgenau die gleiche wie zwischen Russland und der Ukraine heute. Die damaligen Sowjetrussen waren also durchaus mit dem heutigen Putin vergleichbar. Wenn ich da nur an Herrn Breschnew und Herrn Andropow denke – ach du lieber Himmel! Trotzdem haben Brandt und Schmidt, als Bundes- und Ex-Bundeskanzler, die Gesprächsbereitschaft zu den Russen aufrechterhalten. Wer das heute tut oder einfordert, wird als rechtsradikal diffamiert.

Dabei hieß es ja eigentlich einmal „nie wieder Krieg“ …

Ja, oder auch „Frieden schaffen ohne Waffen“ – da lacht sich Herr Scholz heute sicherlich kaputt. 

Darf ich Sie trotzdem fragen, worauf das zurückzuführen ist? Wie kann es einen derartigen Schwenk geben, dass so viele Fakten verdrängt werden?

Naja, es hat sicherlich auch mit Übersättigung zu tun. Also der mentalen beziehungsweise emotionalen Übersättigung der Leute. Was wiederum sicherlich mit dem finanziellen Wohlstand zu tun hat. Man sagt ja nicht umsonst, „in der Not halten die Leute eher zusammen, als wenn es ihnen gut geht.“ Und Nächstenliebe kommt vor allem daraus, weil man selbst auch Nächstenliebe braucht. 

Herr Richling, haben Sie vielen Dank für Ihre überaus offenen Ausführungen. Ich sehe mich einem Menschenfreund gegenüber. Gerade deshalb könnten Sie uns vielleicht schlussendlich noch einen Rat mitgeben: Wie gehen Sie persönlich mit Krisenzeiten um? Haben Sie in all dem oft menschenverachtenden Chaos eine Richtlinie, den Kopf erfolgreich über Wasser zu halten?

Naja, ich schreibe. Und was ich eigentlich selten bis nie vorher so massiv erlebt habe, ist, dass sich sehr viele Menschen in der Corona-Zeit dadurch unterstützt und bekräftigt fühlten. Mein Regisseur Günter Verdin sagt in Anlehnung an das, was man über aggressive Hunde sagt, auch über diese aggressive Zeit: “Das Leben will nur spielen.“ Ich spiele also mit und hoffe, dass es mich gewinnen lässt!