Ein Waffenhersteller sagte in einem Interview, er freue sich, dass die Rüstungsindustrie ihr Image verbessert habe. Ja, der Ruf sei gut, jubelte die Tagesschau mit, und begeisterte sich für den Imagewandel zum „Krisenhelfer“. Fortschritt inklusive: Elektrischer Antrieb mache Panzer nicht nur klimafreundlicher, sondern durch fehlenden Motorenlärm auch tödlicher.
Fortschritt? Besteht im Jahre 2023 anscheinend immer noch darin, Waffen zu verbessern, um weiterhin Kriege führen zu können. Und das hoffentlich möglichst vernichtend.
Fortschritt? Würde er nicht darin bestehen, den Tötungs-Furor zu überwinden?
Fortschrittsoptimismus gehört zum Zeitgeist. Kaum jemand will als rückständig gelten. Mitunter artet der Glaube an den Fortschritt in einen religiösen Kult aus. Allein: Sind die technologischen Entwicklungen, auf die der Fortschritt ganz wesentlich fußt, tatsächlich ein Beweis für dessen Existenz? Oder handelt es sich nicht vielmehr um einen Irrtum?
„Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt“, sagte Albert Einstein.
Ich stimme ihm zu.
Unglück, Leid, Krieg sind nicht überwunden. Warum? Wie erklärt sich menschliche Destruktivität? Ist sie anthropologische Konstante? Darüber mag man gerne streiten. Nur: Gibt es einen Weg, der hinausführt?
Was zwischen uns Menschen vor sich geht, insbesondere das, was unbegreiflich erscheint, kann unter anderem mit Hilfe der Psychoanalyse besser durchdrungen werden. Inzwischen ist es allerdings so, dass die Psychoanalyse als nicht mehr zeitgemäß eingeordnet und daher reflexartig abgelehnt wird. Das aber bleibt nicht ohne Folgen. Alexander Mitscherlich, ein deutscher Arzt und Psychoanalytiker, warnte, dass die Abwehr des psychoanalytischen Wissens „vielleicht die einzige wirkliche Gefahr (ist), welche die Menschheit bedroht.“
Der Philosoph Theodor W. Adorno zählt zu den bekannten Fürsprechern. Er meinte seinerzeit, es wäre es heilsam, „hätte die Psychoanalyse Einfluss auf das geistige Klima in Deutschland.“ Selbst dann, wenn dieser Einfluss „bloß darin bestünde, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, nicht nach außen zu schlagen, sondern über sich selbst und die eigene Beziehung zu denen reflektieren, auf die das verstockte Bewusstsein zu schlagen pflegt.“
Stattdessen wird weiterhin, so wiederum Mitscherlich, „die eigene Aggression auf böse Verfolger projiziert; von den eigenen Symbolfiguren wird dann wiederum erwartet, dass sie sich das ihnen anvertrauende Volk unter brausendem Donnerhall zur Zerschmetterung dieser Feinde in die Schlacht führen.“
Wer Projektion nicht erkennt, ist dem Wiederholungszwang ausgeliefert. Oder anders gesagt, ich zitiere erneut: „Die Kontrollmöglichkeiten gegen die zerstörerische Destruktivität von Milliarden Menschen kann nur in diesen Menschen selbst, in ihrer Fähigkeit zu Reflexion auf sich und ihr Tun entwickelt werden.“
Die Psychoanalyse ist gewiss nicht das einzige „Instrument der Wahrheit über uns selbst“, aber sie ist eines, das ich für unabdingbar halte, damit wir einen anderen Weg einschlagen können.
Raus aus der Destruktivität.
Dann kann der Fortschritt beginnen.
Über den Autor
Sylvie-Sophie Schindler
Sylvie-Sophie Schindler, ist in Oberbayern aufgewachsen. Sie ist in Schauspiel, Philosophie und Pädagogik ausgebildet und hat weit über 1.500 Kinder auf ihrem Entwicklungsweg begleitet. Als Journalistin begann sie bei der Süddeutschen Zeitung, war jahrelang als Lokalreporterin für den Münchner Merkur tätig und belieferte Medien wie stern, VOGUE und GALORE mit ihren Texten. Zig tausend Artikel später orientierte sie sich im Journalismus neu, um frei und ohne Agenda schreiben zu können. Aktuell veröffentlicht sie unter anderem für die WELTWOCHE und Radio München. Sie ist Trägerin des Walter-Kempowski-Literaturpreises. Mit ihrem YouTube-Kanal DAS GRETCHEN will sie die Dialogbereitschaft stärken. In Vorträgen und in Netzwerken setzt sie sich für neue gesellschaftliche Wege ein, die auf Selbstorganisation, Herzoffenheit und freiem Denken gründen.