Schloss Neuhardenberg: Zwischen kultureller Faszination und persönlicher Erschütterung

Thaisen David Andrew Rusch, Opernsänger und Chormitglied der Deutschen Oper Berlin, berichtet von einem Wochenendaufenthalt in Brandenburg, der tiefe Fragen aufwirft. Was als Geschenk für die Eltern begann, endet in einem Moment des Innehaltens – konfrontiert mit Alltagsrassismus inmitten preußischer Idylle. Und doch bleibt der Blick differenziert: Mit dem Osten verbindet ihn viel – persönliche Freundschaften, berufliche Stationen, eindrückliche Begegnungen. Ein Text über Heimat, Zugehörigkeit und die Hoffnung auf Veränderung.

Ein Bericht von Thaisen David Andrew Rusch

Die Goldene Hochzeit meiner Eltern liegt zwar schon über ein Jahr zurück – gefeiert wurde sie damals in unserer schleswig-holsteinischen Heimat. Doch als Zeichen unserer Dankbarkeit wollten meine Schwester und ich ihnen ein paar erholsame Tage im Schloss Neuhardenberg schenken.

Nach all den Jahren, in denen sie alles für uns Kinder gegeben haben – meine Schwester und ich wurden als Säuglinge aus dem Bürgerkriegsland Sri Lanka adoptiert und wuchsen in Deutschland und Finnland auf – war es an der Zeit, etwas zurückzugeben.

Wir hatten diesen idyllisch verklärten Ort Neuhardenberg schon früher besucht, in der am Hotel anliegenden „Brennerei“ gegessen und die authentisch rustikale Atmosphäre dort genossen. Eine Wiederholung als Geschenk lag nahe. Meine Schwester, promovierte Physikerin und Deutschlehrerin an einem norddeutschen Gymnasium, reiste mit Mann und Tochter an. Ich freute mich auf Brandenburg.

Als Opern- und Konzertsänger kenne ich nicht nur die internationalen Musikzentren, sondern schätze im Besonderen die ostdeutschen Bundesländer. Meine deutsch-italienische Frau, ebenfalls Opernsängerin, und ich haben in Thüringen gelebt, gearbeitet sowie in der Goethe- und Schillerstadt Weimar geheiratet.

Doch dieser Abend veränderte etwas in meiner naiven Romantik zum Osten des Landes – und im Speziellen zu Brandenburg.

Nach dem Hauptgang fiel mir eine sechsköpfige Männergruppe auf. Zwei trugen schwarze T-Shirts der Band Böhse Onkelz. Draußen vor dem Restaurant rannten meine Töchter umher. Unsere Jüngste, Leyla (2), lief spielerisch an der Gruppe vorbei – da trat ihr einer der Männer, glatzköpfig, mit einem angedeuteten, aber deutlich aggressiven Tritt in den Po hinterher. Die Gruppe lachte.

Ich war fassungslos. Hatte ich das wirklich gesehen? Meine zweijährige Tochter – Ziel eines menschenverachtenden „Scherzes“? Ich hielt meine ältere Tochter Helene fest und sagte ruhig: „Du bleibst jetzt hier bei mir.“ Die Männer kamen vorbei. Der Täter sah verlegen zu Boden, ein anderer, der Älteste der Männer, sagte grinsend: „Na ja, sowat macht man ja och nich – sind doch Kinder!“

Ich fühlte mich ohnmächtig, hatte nicht reagiert. Aus Angst vor einer eventuellen Eskalation. Aus Verantwortung. Viele würden sagen: „Das war vernünftig.“

Aber warum muss ich immer der Vernünftige sein?

Rassismus ist hier nicht nur ein Wort – er ist ein Gefühl, eine ständige Abwägung, ein innerliches Radar, das ständig im Hinterkopf mitläuft. Ich erinnerte mich plötzlich an das höhnische Gelächter, das ich unterbewusst ausgeblendet hatte, als wir kurz zuvor auf die Terrasse traten und mit Helene gemeinsam „Leyla!“ hinterherriefen. Ein arabisch klingender Name, eine andere Hautfarbe und – darüber hinaus der Festlichkeit entsprechend – fein gekleidete Fremdlinge: Das passte diesen Herren nicht.

Wie tief muss man sinken, um einem nicht weißen Kleinkind (auch nur angedeutet) in den Hintern zu treten – aus Spaß? Was ist mit Leylas Würde? Was geht in den Köpfen solcher Menschen vor? Zum Glück hat sie nichts davon mitbekommen.

Doch für mich bleibt:

Schloss Neuhardenberg – ich bin erschüttert.

Über die Menschen, die hier einkehren. Und darüber, ob ich diesen Ort künftig noch für Familienfeiern oder Konzerte in Betracht ziehen kann. Mein Fazit: eher nicht.

Denn an diesem Abend fühlte es sich wie eine No-Go-Area an.

Leyla’s not welcome.

Trotz aller Faszination für die Geschichte Preußens, die wunderschöne Natur, kulturelle Perlen wie Potsdam, Prenzlau, Templin oder auch Schloss Neuhardenberg – bleibt da stets diese unterschwellige Angst.

Fremdenfeindlichkeit ist seit den sogenannten „Baseballschläger-Jahren“ Teil der ostdeutschen Realität. Ich erinnere mich an die Bilder aus Rostock-Lichtenhagen. Als Jugendlicher spürte ich bei Ausflügen in die neuen Bundesländer: Der Osten war für mich irgendwie anders gefährlich als für meine weißen Freunde. Während des Studiums an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin besuchte ich öfter die bedeutenden Musikzentren Leipzig und Dresden – wegen der Musik des großen Johann Sebastian Bach, der kulturellen Traditionen, der kritischen Denkweise zu tagesaktuellen Geschehen.

Inzwischen bin ich festes Chormitglied des Chores der Deutschen Oper Berlin.

Vorher war ich – wie bereits erwähnt – als Solist an verschiedenen Bühnen, u. a. in den Neuen Bundesländern tätig. Ich hatte darüber hinaus bei offiziellen Anlässen und Konzertauftritten im Ausland Deutschland als Künstler mit einem gewissen Stolz repräsentiert.

Aber ich bilanziere für mich persönlich, dass sich die negativen Erlebnisse häufen: Beleidigungen, Drohungen, Flucht vor rechter Gewalt, Arbeitsplatzwechsel aufgrund eines rechten Theaterboykotts.

Die Beleidigungen zähle ich gar nicht mehr, denn sie sind mittlerweile das harmlosere Übel, das ich notfalls in Kauf nehmen muss, wenn ich durch Ostdeutschland reise.

Einmal war ich der „Scheiß-N** im Viehtransporter“.**

Ein anderes Mal der „Flüchtling, der den Deutschen das Essen wegnimmt“.

Oder der „Scheiß Roberto Blanco“ – nach einer Vorstellung am Theater in Gera.

Begegne ich Menschen mit anderer Hautfarbe bzw. unterschiedlichen Wurzeln, lautet meine neugierige Testfrage:

Würdest du mit deiner Familie ein Wochenende auf Rügen verbringen – so unbeschwert wie viele meiner ehemaligen weißen Kollegen eines Ostberliner Opernhauses?

Die allgemeine Antwort: Nein, bist du verrückt?! Ist doch viel zu gefährlich für Leute wie uns. Zu groß scheint die Angst, dass sich der Frust der Einheimischen im Osten unserer Bundesrepublik an unsereins in Form von rassistischen Übergriffen entlädt.

Und ja, dieser Frust ist bis zu einem gewissen Grad aus ihrer Perspektive auch verständlich: verlorene Biografien nach der Wende, die Flüchtlingspolitik – wahrgenommen als über ihre Köpfe hinweg – seit 2015, islamistische Anschläge, die Ungleichheit zwischen Ost und West etc. – all das hinterlässt seine Spuren.

Der Autor Dirk Oschmann hat in seinem gefeierten Buch „Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ auf interessante Weise analysiert, wie die ostdeutsche Bevölkerung medial, politisch und gesellschaftlich nach dem Mauerfall stigmatisiert wurde. Dieses Buch hat vermutlich vielen Westdeutschen die Augen geöffnet – aber die Erlebnisse und Erfahrungen im Osten von Leuten wie mir greift Dirk Oschmann überhaupt nicht auf.

Für mich und viele Menschen in Deutschland ist es ein großes Thema, ob wir in einem Teil unseres Landes für immer Fremde bleiben.

Aber ich fahre dennoch in den Osten,

weil ich dort Freunde habe,

weil mir die Landschaft des Ostens gefällt,

weil ich mir die Thüringer Rostbratwurst mit einem kühlen Bier nicht nehmen lasse,

weil ich dort auch viele schöne Erfahrungen mit Menschen gemacht habe.

Weil ich mir wünsche, dass sich Leyla und Helene in Zukunft unbeschwert auf der thüringischen Wartburg, in der Dresdner Frauenkirche, auf der Leipziger Buchmesse oder im Schloss Neuhardenberg, im schönen Brandenburg, frei bewegen können.