Buchrezension
Wie frei ist die Kunst? Ab und an lesen oder hören wir: Dies oder jenes sei von der Kunstfreiheit gedeckt. Tönt zunächst einmal gut. Aber wie sieht es in der Praxis aus? In jüngster Zeit grassiert etwas, das mit “Cancel Culture” benamt ist. Der Begriff wurde in den USA geprägt. Und schwappte – wie so vieles andere – dann auch über den Großen Teich zu uns herüber. Zusammen mit dem “Wokismus” wird damit viel Schaden angerichtet. Sich dazu berufen fühlende Scharfrichter fällen einer gefährlichen Ideologie folgend selbsgerecht ein Urteil über Künstlerinnen und Künstler. Welche sie aus diesem oder jenem Grund als “umstritten” abstempeln und canceln.
Und Medien und Journalisten (der Journalismus ist hierzulande auch darüber hinaus eh auf den Hund gekommen) schlagen in die von besagten Scharfrichtern gehauene Kerbe. Da wird schon einmal der scharfzüngigen und bewusst provozierenden in jeder Hinsicht hervoragend guten Kabarettistin Lisa Eckart Antisemitismus unterstellt. Und die Presse bis in das hinterletzte Regionalblatt schreibt das von den medialen Vollstreckern ab. Das lesen dann freilich auch Veranstalter. Wenn sie nicht ohnehin schon von Wikipedia entsprechend “informiert” sind. Die Konsequenzen für die davon betroffenen Künstler können existenzbedrohend ausfallen. Gottlob gibt es noch Menschen – auch unter den Veranstaltern und selbst unter den Journalisten noch! – in deren Oberstübchen anscheinend noch alles so ziemlich seine Ordnung hat; die gegensteuern.
Oder nehmen wir die Operndiva Anna Netrebko, die “gecancelt” wurde (sie verlor Engagements und Aufritte), weil sie sich nicht deutlich genug (wie die besagten Scharfrichtern urteilten) von “Putin und dessen Krieg” distanziert hätte.
Auch den weltberühmte russischen Dirigent Waleri Gergijew traf es. Der Münchner OB Dieter Reiter (SPD) entließ ihn kurzerhand als Chef der Münchner Philharmoniker. Sein “Vergehen”: Er ist mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin befreundet und wollte sich von ihm und “dessen Krieg” offenbar nicht deutlich distanzieren.
Also: Wie frei ist die Kunst wirklich? Blicken wir zurück in die Geschichte, erfahren wir recht schnell, dass diese “Freiheit” immer abhängig von den herrschenden Machtverhältnissen ist. Die Herrschenden, ganz früh auch die Kirche, bestimmten, die Grenzen dieser “Freiheit”. Die freilich auch recht schnell genommen werden konnte und auch wurde. Manche verloren nicht nur die Freiheit sondern auch ihr Leben dabei.
Wobei hier eingefügt werden muss, dass die Kunst durch Auftragsarbeiten für die Kirche enorme Anregung und Aufschwung fand, was Moshe Zuckermann, der Autor des hier zu besprechenden Buches darin auch ausführt.
Zuckermanns Buch trägt den Titel “Rettet die Kunstfreiheit!”. Er führt darin auch aus – wie hier von mir schon kurz angeschnitten -, dass die Kunst schon immer Anfeindungen und Behinderungen ausgesetzt war. Aber schon der Buchtitel, der als Mahnung und Aufruf zu Taten, zu verstehen ist, zielt auf das Heute. Zur Streitschrift des israelischen Historikers und Kulturtheoretikers Moshe Zuckermann (von dem hier auf meinem Blog schon einige Bücher besprochen worden sind) lesen wir:
“Die Forderung nach einer freien und unabhängigen Kunst kennen wir seit dem 19. Jahrhundert. Dieses Streben nach Kunstautonomie fußt auf der Überzeugung, dass der Bereich des Ästhetischen eigenen Regeln folgt, dass Kunst frei sein muss von fremden Ansprüchen, seien diese politischer oder moralischer Natur. Heute scheint es nicht sonderlich gut um dieses Ideal bestellt: Stichworte wie ‚Cancel Culture‘ sowie die oft schrill geführten Debatten darüber, wer eigentlich noch etwas sagen oder zeigen darf, zeugen davon, dass die Autonomie der Kunst mehr denn je gefährdet ist. Kenntnisreich und mit stilistischer Brillanz zeichnet Moshe Zuckermann dieses Spannungsfeld nach. Er fragt nach dem Verhältnis von Kunst und Fortschritt, Politik, Elitarismus sowie kulturindustriellem Kitsch. Dabei steht nicht weniger auf dem Spiel als die Rettung der Kunstfreiheit.”
Moshe Zuckermann
Die Kunstfreiheit wurde ursprünglich vom aufsteigenden Bürgertum befördert. Ein nicht zu unterschätzdender Fortschritt gegen das vormalige, die Kunst einschnürende Korsett, das im Feudalismus stattgehabt und vieles von vornherein verunmöglicht hatte. Wobei durchaus auch anzumerken ist, dass kunstliebende Fürsten durchaus Interessantes oder gar Epoche machendes angestoßen und gefördert hatten.
Doch auch dem Bürgertum ging manches gegen den Strich. Etwa wenn ihrer Meinung etwas nach gegen die seinerzeit vorherrschende Sexualmoral oder religiöse Tabus verstieß. Dann war rasch Schluss mit der Freiheit der Kunst.
Eigentlich müsste man sagen, die Kunst in allen bisherigen Systemen nie völlig frei war. Immer aber wurden dann Nischen gesucht und auch gefunden. Etwa in vorgeblichen sozialistischen Systemen. Unangepasste Künstler mussten sich letztlich immer ihre Freiräume erkämpfen.
Offenbar auch heute wieder! Deshalb dieses Buch.
Es hebt im Vorwort so an: “Der Begriff der Kunstautonomie hat in den letzten Jahrzehnten seine Prominenz eingebüßt. Es will zuweilen scheinen, als hätten sich große Teile der Kunstsoziologie und -philosophie, aber auch die Kunstpraxis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschworen, um ihn endgültig zu desavouieren.”
Ausdrücklich weißt Zuckermann daraufhin, dass sich seine Darlegungen dem Denken der Frankfurter Schule, allem voran dem Adornos “verschwistert” sähen.
Weshalb das Buch “mit einer paradigmatischen Beleuchtung des Begriffs der Kunstautonomie, nicht zuletzt aber auch ihrer prästabilisierten Beziehung zum Fremdbestimmten”, beginne.
Der Begriff Kunstautonomie, befindet Moshe Zuckermann, sei “von gewisser Ambivalenz: “Er verweist auf die Selbständigkeit der Kunst im Verhältnis zu dem, was außerhalb ihr liegt, muss aber zugleich in Kauf nehmen, das besagtes außerhalb stets auch ein (aktiver) Bestandteil der Kunst selber ist. Das gilt freilich für jegliche Autonomie als solche. Man kann ja nur im Verhältnis zu dem, wovon man sich unterscheidet, autonom sein; und das, wovon man sich unterscheidet, muss folglich begrifflicher Bestandteil dessen sein, was für autonom erachtet wird.”
Was ist Kunst?
Diese Frage haben wir uns doch gewiss alles schon einmal gestellt. Der Antworten wären viele. “Das 20. Jahrhundert”, schreibt Zuckermann, “überstieg bei weitem die ersten Anzeichen einer solchen Tendenz, die soziale Realität in die Kunst einzuschleusen, wie sie sich etwa im 17. Jahrhundert in den Gemälden von Ribera und Murillo in Spanien oder in denen von Adriaen Brouwer, Jan Steen, Pieter de Hooch und Rembrandt in Holland […] in Europa des 19. Jahrhunderts gezeigt hatte” (S.23).
Niemand habe diese neue Tendenz “mit größerer Verve und durchgängiger Konsequenz” gefördert als Marcel Duchamp. “Nicht von ungefähr wurde bei einer Umfrage unter 500 Künstlern, Kuratoren und Galeriebesitzern sein Werk <>, das von ihm 1917 ausgestellte umgekehrte Pissoir, als das einflussreichste Kunstswerk der Moderne gewählt.” Allerdings hatte Duchamp den nicht zu vernachlässigenden Vorteil, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits sozusagen arriviert und ein anerkannter Künstler war.
Konzeptkunst betrachtet Zuckermann als auf einem Holzweg befindlich. Ganz und gar sogar letztlich als einen Suizid der Kunst. “Die dem Postulat der permanenten Formüberbietung zugrunde liegende Logik, welche die ihre Geltung aus der progressiven Historiographie des modernen Zeilalters bezieht, mag in der Tat, konsequent zugespitzt, zur radikalen Formaufhebung, mithin zur Forderung ihrer totalen Aufhebung führen.” (S.69)
Als interessantes Beispiel aus jüngerer Zeit sieht Moshe Zucker die Verhüllung des Reichstags des Künstlerpaars Christo und Jeanne-Claude. Bereits seit 1971 hatten sie ins Auge gefasst, “das Reichstagsgebäude in Berlin – ein historisch wie politisch befrachtetes Bauwerk, das als Ruine im Ostteil der infolge des Zweiten Weltkriegs geteilten Stadt stand – zu verhüllen.” (S.71)
Aus politischen Gründen war das lange nicht möglich. Schließlich “begann das Künstlerehepaar die Idee planend umzusetzen: Es entstanden tausende von Skizzen, Zeichnungen, Gemälde des Gebäudes im enthüllten und verdeckten Zustand, Modelle in von ihm in diversen Größen […]” und schließlich auch Computersimulationen. Glücklicherweise gewann das Künstlerehepaar in Person der damaligen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth eine Unterstützerin ihres Plans. 1995 schließlich konnte das Verhüllungswerk im Juni 1993. Fünf Millionen Besucher aus aller Welt (mich eingeschlossen) erlebten über drei Wochen die großartige Aktion.
Zuckermann gibt zu bedenken: “Wer aber denkt, dass man die Verhüllung des Reichstags als abstrakte, ihrer möglichen Verwirklichung im Wesen widerstrebenden Idee hätte belassen können, muss in Kauf nehmen, dass diese Idee vermutlich sehr bald erstickt und als totgeborene Kunst übrig geblieben wäre.” (S.73)
Adorno hatte ja bekanntlich zunächst beschieden (er schwächte das später wieder ab): „Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ (Aus: Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft).
Die Kunst habe Auschwitz weder vorhergesehen und nicht verhindert, befand Adorno. Moshe Zuckermann dazu in seiner Streitschrift: „[…]weder Unbehagen in der Kultur noch Entsetzen über ihr Versagen führen aus der Kultur heraus“.
Zuckermann kritisiert, was weder Adorno noch Horkheimer veraussehen konnten: Sich “immer professioneller zugerichteten Verführungen zum Konsum, zur kommerziellen Mode, zum Sensationellen auszusetzen.” (S.124)
Und weiter: „Ob Kunst, Unterhaltung, politisches Ereignis oder Naturkatastrophe, ob Mord oder Hungertod, Ziehung der Lottozahlen oder Abdankung des Ministers – alles verkommt der Präsentations-, Wahrnehmungs- und Verwertungskultur nach zur Ware: Sterben in Afrika hat einen ökonomisch kalkulierbaren prime-time-Wert; es wird als item konsumiert und hat eine Wirkungsdauer, die sich am nächsten item, an der nächsten Sensation, an der ihr folgenden Unterhaltungssendung bemisst. Autoritär ist die fetischierte Hinnahme einer wenn schon nicht von oben, so doch hinter den Kulissen zubereiteten Totalvirtualisierung des Lebens, welche selbst noch TV-Wettermännern und -frauen zu Kultpersonen mutieren lässt.“
Zuckermann abwartend: “Ob dabei Faschismus im herkömmlichen Sinne gefördert wird, wird sich erst dann erweisen können, wenn sich objektive historische Bedingungen für seine abermalige Erstehungen entwickelt haben sollten.”
Wenn autoritäre Charakterstrukturen weiterhin für die ‘menschliche Grundlage’ des Faschismus gehalten würden, könne man davon ausgehen, dass sich das traditionell Autoritäre in modernen Gesellschaften überlebt habe, mithin Adorno und Fromm noch umtreibende Gefahr des Faschismus getilgt sein.
Allerdings werde “man sich freilich fragen dürfen, ob dieses Autoritäre nicht gerade in der immanenten Logik und Struktur der Kulturindustrie seinen (un-)würdigen Nachfolger gefunden haben könnte”.
Zuckermann schließt das Kapitel “Kulturindustrie” mit einem Verweis auf US-Präsident Trump: “Bei einem US-Präsidenten, der aus dem Big Business kam und sein eigenes Leben in Kategorien der Reality Show begriff, lebte und vermittelte, war die Veschwisterung von Kulturindustrie und Affinität zum Faschismus in welthistorischem Maß auf den Punkt gebracht.” (S.132)
Ein rundum interessante Streitschrift, die nicht nur brillant und kenntnisreich geschrieben ist, sondern welche gewiss auch jede Menge Stoff zur Diskussion liefert.
Jedes Kapitel ist interessant und füllt mögliche Wissenslücken: Kunstautonomie, Kunst und Progress, Konzeptkunst, Kunst und das Politische, Hohe und niedrige Kultur, Kulturindustrie, Exkurs: Elitismus, Tod eines Sängers bis hin zum Epilog. Geistig anspruchsvoll und auf hohem Niveau geschrieben. Nicht zum eben mal schnell “verschlingen”. Aus der aufmerksamen Lektüre dieser Streitschrift geht man als Leser dann aber auch mit hohem Gewinn heraus.
Moshe Zuckermann
Die Kunst ist frei?
Eine Streitschrift für die Kunstautonomie
https://www.westendverlag.de/buch/die-kunst-ist-frei/
Erscheinungstermin:
20.06.2022
Seitenzahl:
160
Ausstattung:
HCoSU
Artikelnummer:
9783864893810
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Über den Autor
utor Jahrgang 1956, verheiratet. Politischer Mensch, der seit der Schulzeit versucht, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen. In den letzten Schuljahren Schulzeitungsredakteur, später neben der Arbeit als Beleuchter am Theater langjähriger ehrenamtlicher Zeitungskorrespondent, zwischendurch Mitarbeiter eines Straßenmagazins, Blogger, Journalist. Seit Ende 2020 Rentner und mehr Zeit, um über dies und jenes zu berichten. Politik immer kritisch im Blick. Die Kultur bleibt fest in meinem Fokus.