Daphne Hruby im Gespräch mit Viktor Mayer-Schönberger. Der gebürtige Salzburger ist Jurist, Programmierer und Experte für Internetregulierung an der Universität Oxford. Neben ganz grundsätzlichen Fragen zur zunehmenden Auslagerung wichtiger gesellschaftlicher Entscheidungen an maschinelle Systeme und die Konsequenzen daraus, geht es in diesem Interview vor allem um zwei aktuelle EU-Verordnungen: den „Digital Services Act“ und die sogenannte „Chat-Kontrolle“. Letztere ist Teil eines größeren Maßnahmenpakets gegen Kindesmissbrauch im Internet. Der „Digital Services Act“ wurde bereits verabschiedet und tritt 2024 in Kraft. Die „Chat-Kontrolle“ soll nach Plänen der EU-Kommission noch in dieser Legislaturperiode – also vor den EU-Wahlen im Frühjahr 2024 – auf Schiene gebracht werden.
Beide Gesetze verfolgen ein Ziel: das Internet, oder genauer gesagt: das Verhalten im digitalen Raum zu regulieren. Beide behandeln gesellschaftliche Probleme, die wohl niemand abstreitet: Kindesmissbrauch auf der einen – Hassrede und Desinformation auf der anderen Seite. Beide setzen dabei unter anderem auch auf Filterprogramme, um verdächtiges Material zu finden und aus dem Verkehr zu ziehen. Beide Verordnungen sind unter Fachleuten allerdings umstritten. Denn bei beiden stellt sich die Frage: kann die Technik gesellschaftliche Probleme lösen – und vor allem: zu welchem Preis?
Der „Digital Services Act“ soll unser Verhalten in der digitalen Öffentlichkeit regeln. Hierfür werden Online-Plattformen wie Facebook, Twitter, Youtube und Co künftig stärker kontrolliert. Das neue Gesetz birgt Chancen, aber auch einige Risiken. So schreibt das Gesetz den Tech-Unternehmen vor, ihre Algorithmen – die Userinnen und User in gewisse Konsum- aber auch soziale Gruppen einteilen – offenzulegen. Außerdem sollen sich die EU-Bürgerinnen und Bürger besser gegen Hassrede oder Beleidigungen zur Wehr setzen können. Im „Digital Services Act“ ist aber auch explizit von „Desinformationen“ die Rede. Diese sollen künftig verstärkt bekämpft, markiert und gelöscht werden. Und hier beginnt es heikel zu werden. Keine Frage: im Internet zirkuliert sehr viel Unsinn – doch wer entscheidet dabei über richtig und falsch und wer kontrolliert letztlich die Kontrolleure – vor allem, wenn es sich dabei um automatisierte Filterprogramme handelt?
Die sogenannte „Chat-Kontrolle“ berührt hingegen unsere private Kommunikation. Wird in einem Messengerdienst – wie etwa WhatsApp, Signal oder Telegram –, aber auch bei Email- oder Gaming-Plattformen ein „signifikantes Risiko“ identifiziert, dass dort Material von Kindesmissbrauch ausgetauscht werden könnte, können der ganze Dienst bzw seine Nutzerinnen und Nutzer mittels Suchfilter überwacht werden – für maximal ein bis zwei Jahre, je nach Delikt. Befürworter bezeichnen es als „nötiges Instrument im Kampf gegen Kindesmissbrauch in Zeiten der Digitalisierung“ – Kritiker hingegen sprechen von einer „unverhältnismäßigen Massenüberwachung“.
Über den Autor
Daphne Hruby ist in Korneuburg in eine Künstlerfamilie hineingeboren worden, bereits im Alter von wenigen Stunden nach Wien übersiedelt und auch dort aufgewachsen. Sie hat sich rasch den Radiojournalismus in Ohr und Kopf gesetzt - und diesen Weg auch konsequent beschritten. Ihr Herz, Hirn und Wesen gehört der tiefgründigen Recherche. Hauptberuflich arbeitet sie als freie Journalistin auch beim öffentlichen-rechtlichen ORF-Radiosender Ö1.