In den letzten Tagen war für mich die Fassungslosigkeit über die gegenwärtigen Diskussionen zum Ukraine-Krieg an einem Höhepunkt angelangt. Die Wortwahl bedeutete für mich eine neue, ja, ungeahnte Dimension der Eskalation.
Ich weiß nicht, wie Sie, liebe Leserinnen und Leser darauf reagieren werden oder reagiert haben, falls Sie schon ahnen, worum es geht.
In der Printausgabe der „Zeit“ vom 16.02. gab es einen Gastbeitrag der israelisch-französischen Soziologin Eva Illouz, der am 18.02. auch online zu lesen war. Es ging um den Ukraine-Krieg, verschiedene Positionen kamen zu Wort, eben auch jene von Illouz.
Der Text von Illouz hatte folgende Überschrift, die die Ansicht der renommierten Soziologie-Professorin zum Ausdruck brachte, Zitat: „Ich wünsche mir einen totalen Sieg.“
Wie bitte? Hatte ich mich verlesen? Will man uns einen Streich spielen? Will man unseren Empörungsgrad messen?
Macht man mit uns psychologische Experimente wie in „Die Welle“?
Ich kaufte mir eine Printausgabe der „Zeit“, um in materieller Form vor mir zu sehen, ob in einer deutschen Qualitäts-Zeitschrift, rund um das Datum des 18.Februar tatsächlich ein Text mit einer solchen Überschrift zu lesen ist, weil ich es einfach nicht glauben konnte. Und ich täuschte mich nicht, es war kein Traum, kein Witz, kein Karnevalskalauer. Fast auf den Tag genau 80 Jahre nach Goebbels berühmt-berüchtigter Rede im Sportpalast (18.02.1943), wo er den totalen Krieg UND den totalen Sieg herbeischrie, lesen wir in einem deutschen Medium erneut vom totalen Sieg. Unwidersprochen! Ernst gemeint! Und dann auch noch von einer Intellektuellen, einer Koryphäe der feministischen Kapitalismuskritik. Dieselben Worte wie Joseph Goebbels sie verwendet hatte, um damals gegen die Sowjetunion mobil zu machen verwendet Illouz nun in ihrem Statement gegen Russland und „Die Zeit“ druckt das einfach kommentarlos ab.
Der Satz „Ich wünsche mir einen totalen und vernichtenden Sieg für die Ukraine“ wird im Text selbst gar zwei Mal wiederholt. Noch einmal: ein totaler und vernichtender Sieg! So steht es schwarz auf weiß.
Mit ihren völlig wahnwitzigen Ausführungen meint Illouz, dass sich Russland vielleicht nur durch eine „vernichtende Niederlage“ von seiner diktatorischen Vergangenheit befreien könne, wobei die Soziologin auf Deutschland und den Nationalsozialismus rekurriert, bei dem dies (angeblich) auch geklappt hat. Ja, mehr oder weniger vergleicht sie Putin mit Hitler, verwendet dabei aber im selben Atemzug die Sprache des NS-Propagandaministers. Die Widersprüchlichkeit und kognitive Dissonanz, die entweder einem perfiden Kalkül oder nur mehr psychopathologischer Entgleisung zuzuschreiben ist, ist derart bizarr, dass man nicht mehr weiß, was man sagen soll.
Hier verpufft gerade alles, von dem wir dachten, dass wir es zumindest annähernd hinter uns gelassen hatten.
All das Gerede um Demokratie, Antifaschismus, Wehret den Anfängen, Nie wieder Krieg; alles nur Schall und Rauch. Es bricht sich erneut etwas Bahn und das auch noch vor dem Hintergrund unserer finsteren Geschichte, vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrungen. Ein unfassbares Vergessen, ein unfassbares Wiederholen, eine regelrechte Reinszenierung.
Die Sprache des Faschismus ist nun endgültig wieder zurück und mit ihr möglicherweise auch der Faschismus selbst.
Über den Autor
Jan David Zimmermann ist Schriftsteller, Journalist und Wissenschaftsforscher. Seine Essays und Beiträge erscheinen unter anderem in der Berliner Zeitung, Cicero, oder dem Stichpunkt Magazin.