Die Schauspielerin und Schriftstellerin Philine Conrad hat im letzten Jahr zusammen mit ihrem Kollegen Dieter Brandecker ein Stück entwickelt, das sich mit den gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen der letzten zweieinhalb Jahre auseinandersetzt.
Das Hörspiel “Geistige Gefangenschaft” ist eine Momentaufnahme, eine Art Zeitzeugenbericht, der die Entwicklungen und Geschehnisse in Deutschland zugespitzt beschreibt. „Zugespitzt? Die junge Mutter, die nach der Ausgangssperre den Müll raus bringt und festgenommen wird. Ein Zuschauer bestätigt: Im Dorf seiner Eltern ist Ähnliches geschehen.
Eine andere Mutter, die das Testergebnis für ihren Sohn selbst eintragen will, weil sie es nicht länger aushält, seine Ungewissheit zu ertragen: Kann er in die Schule, kann er nicht? Und wenn er nicht kann, werden die anderen Kinder dann noch mit ihm spielen wenn er zwei Wochen lang gefehlt hat?
Die Nachbarn, die das Zusammenkommen von vier Jugendlichen bei der Polizei melden und durch das Fenster zuschauen, wie die Jungen abgeführt werden. „Wir haben richtig gehandelt. Wir melden, wenn’s was zu melden gibt.“
Wir haben erlebt, wie gesellschaftsfähig das Denunzieren in Deutschland geworden ist (oder schon immer war?), wenn man die Regeln nicht ganz so streng einhält.
“Geistige Gefangenschaft” ist ein Stück, das aufzeigt, aufrüttelt, spiegelt.“ Es setzt sich mit der aktuellen Zeit und den Geschehnissen der letzten zweieinhalb Jahre kritisch auseinander, ist konfrontativ ausgerichtet und wirft Fragen auf. Es geht rein in die Wunde, in den Schmerz, scheut nicht und tabuisiert nicht. Es sucht die Konfrontation und fordert auf zu reflektieren. Der Wunsch: Eine ehrliche Rückschau. Die Notwendigkeit: Zu viel ist passiert. Zu viel und zu lange wurde dazu geschwiegen, die Entwicklungen unhinterfragt von der Mehrheit für gut und richtig befunden.
Produzieren will es die große Kölner Radioanstalt nicht, schreibt aber:
Das “Stück liest sich unbestreitbar als Parabel für unsere heutige Zeit.” (WDR).
Die Dramaturgin vom Schweizer Radiosender SRF lehnt ab mit der Begründung, das Stück sei polemisch – und dazu wolle man keine ausführliche, inhaltliche Rückmeldung geben.
Philine Conrad ist der Meinung, gerade in einer Zeit derart gesellschaftlicher und politischer Enge und Umbrüche sollte man umso mehr hinschauen und die Ereignisse offen thematisieren. Den Spalt und den Graben in der Gesellschaft betrachten und sich fragen, wie man einen geeigneten Umgang finden kann. Dass einige Politiker in diesem Land immer noch sagen, es gäbe keine Spaltung in der Gesellschaft, erschreckt in dem Zusammenhang sehr. Was will man nicht wahrhaben? Was vertuschen?
„Geistige Gefangenschaft“ soll nun in Eigenproduktion entstehen. Dafür wurde ein Crowdfunding eingerichtet. Mithilfe der Unterstützung, die darüber zusammenkommt, können Schauspieler, Tonmeister und Regie honoriert und das Studio für Aufnahmen und Abmischung gemietet werden.
Philine Conrad ist die Initiatiorin der Spendenkampagne und Autorin des Stücks. Seit Beginn der Restriktionen im Frühjahr 2020 hat sie mit Wachsamkeit und Sorge die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen beobachtet. Schnell war klar, dass sie einen künstlerischen Weg finden und gehen will, um die Erfahrungen zu bearbeiten und in den künstlerischen Raum zu stellen. Denn genau dahin gehört die Kunst ihrer Meinung nach. Dass sie an vielen Stellen damit auf Widerstand, Unverständnis und Ablehnung stößt, kann man sich denken.
Dem Druck wollte Sie dennoch nicht nachgeben und ihre künstlerische Bearbeitung der Geschehnisse weiter verfolgen. Denn sie findet, nur weil es die großen, zurückhaltenden, ja mutlosen und nur mäßig kritischen Radiosender ablehnen, ist es kein Grund, es nicht zu machen. Im Gegenteil. Umso mehr ist es notwendig, ein “Kunstwerk” zuschaffen, das als gesellschaftliches Bindeglied eine nicht gewünschte Position und Perspektive einnimmt – und dieses Land endlich in eine offene Auseinandersetzung geht, anstatt sich Hass, Abwertung und Diffamierungen entgegenzubringen.
Philine Conrad hofft, in Zusammenarbeit mit dem Verlag Ars Vobiscum und über die Unterstützung durch Spenden, das Hörspiel noch in diesem Jahr produzieren zu können. Und sie ist zuversichtlich: Mindestens einer der großen Radiosender wird es kaufen und senden.
Auch im Online-Handel wird man es zukünftig bekommen können.
Philine Conrad ist Schauspielerin und Schriftstellerin und lebt in Köln.
Im Mai 2021 gründete sie die Künstlerinitiative “Kunst ist Leben”, um kritische Künstler zu vernetzen und Projekte zu realisieren, so dass die Kunst lebendig bleibt und auch in Krisenzeiten weiter stattfindet.
https://www.kunstistleben.info
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